Grundriss Schopenhauer. Peter Welsen
liegt: »Auf den Einwand: ›Ich erkenne nicht nur, sondern ich weiß doch auch, daß ich erkenne‹, würde ich antworten: Dein Wissen von deinem Erkennen ist von deinem Erkennen nur im Ausdruck unterschieden.« (G 158)14
Ein wesentlicher Unterschied zu Kant besteht darin, daß Schopenhauer die Apperzeption nicht nur aus transzendentalphilosophischer, sondern auch aus physiologischer und willensmetaphysischer Sicht thematisiert. So bezeichnet er die synthetische Einheit der Apperzeption immer wieder als »Brennpunkt« oder »Fokus der Gehirnthätigkeit« (W I 554 sowie W II 293, 324 f. u. 585). Mehr noch, er vertritt die Auffassung, die transzendentalphilosophische Theorie der Apperzeption leide an einem entscheidenden Defizit und bedürfe – zusätzlich zu einer physiologischen – auch noch einer willensmetaphysischen Fundierung: »Kants Satz: ›das Ich denke muß alle unsere Vorstellungen begleiten‹, ist unzureichend: denn das Ich ist eine unbekannte Größe, d. h. sich selber ein Geheimniß. – Das, was dem Bewußtseyn Einheit und Zusammenhang giebt, indem es, durchgehend durch dessen sämmtliche Vorstellungen, seine Unterlage, sein bleibender Träger ist, kann nicht selbst durch das Bewußtseyn bedingt, mithin keine Vorstellung seyn: vielmehr muß es das Prius des Bewußtseyns und die Wurzel des Baumes seyn, davon jenes die Frucht ist. Dieses, sage ich, ist der Wille: er allein ist unwandelbar und schlechthin identisch, und hat, zu seinen Zwecken, das Bewußtseyn hervorgebracht.« (W II 162) In diesem Zusammenhang vergleicht Schopenhauer das transzendentale Subjekt mit dem Fokus eines Hohlspiegels und das Gehirn bzw. den Willen mit ihm selbst: »Wie aber der Fokus eines Brennglases oder eines Hohlspiegels sehr täuschend als ein reales, ja materielles Objekt vor uns schwebt; so auch das Ich. Ohne dies Ich giebt es jedoch kein Bewußtseyn; wie der Hohlspiegel kein Bild giebt, wenn sich nicht seine Stralen zum Fokus vereinigen können. Der Hohlspiegel selbst aber wäre der Leib oder der Wille, die im Grunde identisch sind« (HN IV/1 28 Anm.).15 Dabei zeichnen sich der Leib und der Wille gegenüber dem Subjekt des Erkennens dadurch aus, daß sie nichts Formales, sondern etwas Reales sind. Während ersterer der – im Rahmen des transzendentalen Idealismus als Erscheinung gedeuteten – empirischen Wirklichkeit angehört, ist letzterer das metaphysisch wirkliche Ding an sich. Mit anderen Worten, das erkennende Subjekt bzw. die transzendentale Apperzeption gewährleisten die Einheit des Bewußtseins lediglich formaliter, nicht aber realiter, und sind deshalb auf den Leib sowie den Willen angewiesen.
Askese Schopenhauer versteht unter Askese die »vorsätzliche Brechung des Willens, durch Versagung des Angenehmen und Aufsuchen des Unangenehmen, die selbstgewählte büßende Lebensart und Selbstkasteiung, zur anhaltenden Mortifikation des Willens« (W I 484 f.). Das genannte Ziel soll durch ein Verhalten erreicht werden, das mit einer Verneinung des Willens zum Leben einhergeht. Dazu zählen der Verzicht auf geschlechtliche Betätigung und Besitz, die Einschränkung und Vernachlässigung leiblicher Bedürfnisse durch Fasten und Kasteiung sowie schließlich die gelassene Annahme des Todes. Entscheidend ist für Schopenhauer, daß diesen Verhaltensweisen eine entsprechende, auf die Verneinung des Willens zum Leben abzielende Einstellung zugrunde liegt. Obgleich die Askese in dieser Hinsicht über die moralischen Tugenden hinausgehe, seien diese ein »Beförderungsmittel der Selbstverleugnung« (W II 709) und könnten – bei konsequenter Ausübung – der Askese durchaus recht nahekommen (vgl. W II 710). Schopenhauer vertritt die Auffassung, daß asketisches Verhalten keineswegs nur als unangenehm empfunden wird, sondern er betont: »[S]o ist dagegen Der, in welchem die Verneinung des Willens zum Leben aufgegangen ist, so arm, freudelos und voll Entbehrungen sein Zustand, von außen gesehn, auch ist, voll innerer Freudigkeit und wahrer Himmelsruhe.« (W I 482)
metaphysisches Bedürfnis Schopenhauer schreibt dem Menschen im Gegensatz zum Tier ein metaphysisches Bedürfnis zu, das er als »unvertilgbar« (G 139) im Sinne eines irreduziblen Wesensmerkmals betrachtet. Zunächst äußert sich dieses Bedürfnis darin, daß der Mensch sein Dasein nicht als selbstverständlich hinnimmt, sondern – gerade angesichts der negativen Aspekte desselben wie z. B. der »Vergeblichkeit alles Strebens« (W II 187), des Leidens sowie des Todes (vgl. W II 187 f. u. 543) – darüber erstaunt und nachzudenken beginnt. Stellt man in Rechnung, daß Schopenhauer im Menschen eine Erscheinung des Willens als Ding an sich erblickt, so läßt sich nachvollziehen, wenn er erklärt, das »innere Wesen der Natur« komme »beim Eintritt der Vernunft, also im Menschen, zum ersten Male zur Besinnung« (W II 186). Freilich bleibe der Mensch nicht beim Erstaunen stehen, sondern er verlange nach einer Antwort auf die Frage, wer er sei und was es mit ihm – sowie der Welt, in der er sein Dasein friste – insgesamt auf sich habe. Genauer gesagt habe der Mensch das Bedürfnis, eine metaphysische Antwort auf seine Frage zu erhalten. In diesem Zusammenhang erklärt Schopenhauer: »Unter Metaphysik verstehe ich jede angebliche Erkenntniß, welche über die Möglichkeit der Erfahrung, also über die Natur, oder die gegebene Erscheinung der Dinge, hinausgeht, um Aufschluß zu ertheilen über Das, wodurch jene, in einem oder dem andern Sinne, bedingt wäre; oder, populär zu reden, über Das, was hinter der Natur steckt und sie möglich macht.« (W II 191) Angesichts der Tatsache, daß sich der Mensch – und allein dieser – durch ein Bedürfnis nach Metaphysik auszeichnet, stuft ihn Schopenhauer als animal metaphysicum (vgl. W II 187) ein.
Befriedigung Der Begriff der Befriedigung nimmt in Schopenhauers Ausführungen zum Willen eine zentrale Stellung ein. Befriedigung tritt – nach seiner Auffassung – dann ein, wenn eine Begierde oder ein Wunsch erfüllt oder ein Schmerz beseitigt ist. Während der Zustand, in welchem die Begierde oder der Wunsch unerfüllt sind, als schmerzhaft erlebt wird, trifft auf den umgekehrten Zustand das Gegenteil zu. Was beiden Zuständen letztlich zugrunde liegt, ist der Wille, der im einen Fall an sein Ziel gelangt und im anderen daran gehindert wird, es zu erreichen. In diesem Sinn stellt Schopenhauer fest: »Wir haben längst dieses den Kern und das Ansich jedes Dinges ausmachende Streben als das selbe und nämliche erkannt, was in uns, wo es sich am deutlichsten, am Lichte des vollesten Bewußtseyns manifestirt, Wille heißt. Wir nennen dann seine Hemmung durch ein Hindernis, welches sich zwischen ihn und sein einstweiliges Ziel stellt, Leiden; hingegen sein Erreichen des Ziels Befriedigung, Wohlseyn, Glück.« (W I 387)
Schopenhauer charakterisiert die Befriedigung als negativ, den Wunsch hingegen, der ihr vorangeht, als positiv. Das liegt daran, daß er glaubt, Befriedigung könne nicht stattfinden, ohne daß zunächst ein entsprechender Wunsch gegeben sei: »Alle Befriedigung, oder was man gemeinhin Glück nennt, ist eigentlich und wesentlich immer nur negativ und durchaus nie positiv. Es ist nicht eine ursprünglich und von selbst auf uns kommende Beglückung, sondern muß immer die Befriedigung eines Wunsches seyn. Denn Wunsch, d. h. Mangel, ist die vorhergehende Bedingung jedes Genusses.« (W I 399) Aber auch in anderer Hinsicht stuft Schopenhauer die Befriedigung als negativ ein. Es handelt sich darum, daß der Schmerz eher auffällt und intensiver erlebt wird als der Zustand der Befriedigung, der oftmals erst dann ins Bewußtsein tritt, wenn er beendet ist.
Schopenhauer schätzt die Aussichten, einen Zustand dauerhafter Befriedigung zu erreichen, als gering ein. So legt er dar, daß mit jedem erfüllten Wunsch zahlreiche andere Wünsche offenbleiben, daß die Begierde länger anhält als die Befriedigung derselben und daß sich nach der Erfüllung einer Begierde sogleich eine neue oder aber Langeweile einstellt (vgl. W I 252 u. 400 f.). Schopenhauer erklärt sogar, daß »das Wesen des Menschen darin besteht, daß sein Wille strebt, befriedigt wird und von Neuem strebt, und so immerfort, ja, sein Glück und Wohlseyn nur Dieses ist, daß jener Uebergang vom Wunsch zur Befriedigung und von dieser zum neuen Wunsch rasch vorwärts geht, da das Ausbleiben der Befriedigung Leiden, das des neuen Wunsches leeres Sehnen, languor, Langeweile ist« (W I 326 f.). Angesichts der Tatsache, daß sich der Mensch von der Befriedigung eines Wunsches mehr erwartet, als diese einzulösen vermag, bietet sie sich – so Schopenhauer – tatsächlich als ein »beschämender Irrthum« (W I 398) dar.
Begriff Schopenhauer versteht unter einem Begriff – im Gegensatz zu einer anschaulichen, intuitiven Vorstellung – eine abstrakte Vorstellung. Nach seiner Auffassung sind beide Arten von Vorstellungen geradezu »toto genere verschiedene« (W I 71). Ein Begriff ist insofern nicht intuitiv, als er keine – sei es reine oder empirische – Anschauung enthält16, und er ist insofern abstrakt, als er aus einer Abstraktion von einer anschaulichen Vorstellung hervorgeht. In diesem Zusammenhang ordnet Schopenhauer