Auf Wiedersehen, Kinder!. Lilly Maier

Auf Wiedersehen, Kinder! - Lilly Maier


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Tom seinen Vater für die Hausübergabe abholt, schenke ich Gus zum Abschied ein Mitbringsel aus seiner alten Heimat: Mozartkugeln. »Wie kann ich jetzt aufhören, wo du mir Mozartkugeln mitgebracht hast?«, fragt mich der Süßigkeitenliebhaber lachend und erzählt mir dann noch eine halbe Stunde von der Beziehung seiner Eltern.

      »Mein Großvater Samuel war gar nicht begeistert von der Idee, dass seine Tochter diesen armen und radikalen Buben heiraten wird, der aus einer ganz unwichtigen Familie kommt«, beginnt er. »Außerdem galt Lene als die hässliche Schwester in der Familie und wie konnte Ernst, der bei so vielen jungen Frauen beliebt war, sie heiraten wollen? Ihr Vater war überzeugt davon, dass Ernst sie nur wegen ihres Geldes heiraten wollte. Er hat meiner Mutter gesagt, Ernst wird nie in seinem Leben etwas verdienen, er kümmert sich die ganze Zeit nur um die Partei und politische Fragen.«

      Nach einer Pause fährt Gus fort: »Aber ich glaube, meine Eltern haben sich sehr geliebt. Ich denke, Ernst wusste zu schätzen, dass Lene eine kluge, toughe, kämpferische Frau war. Meine Mutter war immer eigensinnig und hat sich von ihrem Vater nicht beeinflussen lassen.«

      ***

      Lene und Ernst waren bereits seit über fünf Jahren ein Paar. In den Augen aller Goldstern-Frauen gehörte Ernst längst zur Familie, doch noch immer wehrte sich Lenes Vater gegen die Hochzeit. Er holte sich sogar Hilfe beim Anatomie-Professor Julius Tandler, bei dem Lene und Ernst Vorlesungen belegt hatten. Wenig überraschend hatte dieser nichts Gutes über den schlechten Studenten zu sagen, doch Lene blieb dabei: Sie würde Ernst heiraten.

      Samuel Goldstern ließ sich schließlich auf einen Kompromiss ein. Er verlangte, dass Lene ihr Studium abschloss, bevor sie heiratete, damit auf dem Diplom ihr Mädchenname stehen würde. Lene promovierte am 23. Juni 1925 – zwei Tage später heiratete die 24-Jährige den ein Jahr älteren Ernst.

      Nach der Hochzeit lebten die Papaneks erst einmal in der Fango-Heilanstalt. Lene arbeitete als Ärztin für ihren Vater. Mit der Zeit schaffte sie es bis zur Oberärztin, doch die Arbeit in der Kurklinik langweilte sie oft. Es war eine Mischung aus Verantwortungsgefühl ihrem Vater gegenüber und dem guten Gehalt, das er ihr zahlte, die sie dort hielt.

      Am 12. Juli 1926 kam der erste Sohn der Papaneks auf die Welt: Gustav Fritz, benannt nach Gustav Mahler und Fritz Adler. Ein Foto kurz nach Gustls Geburt zeigt die strahlenden Eltern, die beim Anblick ihres Sohnes um Jahre jünger wirken. Fünf Jahre später, am 2. April 1931, folgte dann Georg Otto, genannt Schorschi. Diesmal war Otto Bauer der Namenspatron.

      Nach der Geburt ihres Erstgeborenen zog die kleine Familie in ein Reihenhaus in der Antaeusgasse 46, das Ernst Papanek durch Beziehungen zur Partei mieten konnte. Das Haus war Teil einer sozialdemokratischen Siedlung am Flötzersteig in Penzing und lag eine gute Stunde von der Fango-Klinik entfernt am westlichen Rand Wiens. (Heute sind die Häuser durch viele moderne Anbauten erweitert, aber die wehrhaften Torbögen und moosbewachsenen Mauern erinnern noch immer an die sozialdemokratische Siedlung der 1920er Jahre.)

      Vor dem Haus wuchsen Erdbeeren, Blumen und ein Kirschbaum, im Garten auf der Rückseite gab es eine Sandkiste für Gustl und Schorschi. Ihre Söhne erzogen die Papaneks atheistisch – ganz nach dem Motto »Religion ist Opium für das Volk« – und sozialdemokratisch. So ließen sie sich zum Beispiel nicht mit Mama und Papa, sondern mit ihren Vornamen ansprechen. »Die armen Papanek-Kinder haben keine Eltern – sie haben nur Ernst und Lene«, klagte sogar Otto Glöckel, immerhin der »Papst« der sozialdemokratischen Erziehung.63

      Nach der Geburt Gustls blieb Lene ein Jahr zuhause, dann arbeitete sie wieder. Bei Schorschi nahm sie sich sogar nur einen Monat Babypause. Zeit ihres Lebens hatte die Ärztin sehr fortschrittliche Ansichten über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. »Eine Frau kann sehr wohl eine Ehefrau und Mutter sein und einen Beruf haben«, erklärte sie Ende der 1970er Jahre. »Frauen heute sollten wirklich den Mut haben und es ausprobieren.« Ein Kindermädchen, Mitzi, kümmerte sich um die Buben, während die Eltern arbeiteten.

      Auch in ihrer Ehe hatte Lene sehr klare Ansichten und ihr war durchaus bewusst, worauf sie sich mit der Heirat eines Vollblut-Sozialdemokraten eingelassen hatte. »Als Ernst und ich heirateten, kannten wir uns schon so lange. Wir mussten nicht experimentieren und erst Dinge über uns herausfinden«, schrieb sie in ihren unveröffentlichten Memoiren. »Ich war nicht enttäuscht, dass Ernst so viel Zeit für die Politik verwendet hat. Ich habe immer gesagt, Politik ist sein Leben und ich bin seine Geliebte.«

      Es war Lene Papanek, die das Geld für die Familie verdiente (in diesem Aspekt hatte ihr Vater Recht behalten), aber deswegen machte sie Ernst keine Vorwürfe. Lene glaubte fest daran, dass Liebe kein Grund sei, Gegenliebe zu verlangen, und dass jeder das Recht habe, persönliche Entscheidungen zu treffen.

      Auf die Probe gestellt wurden Lenes Ansichten im Sommer 1927. Es war eine Zeit der politischen Unruhen in der jungen österreichischen Republik und Lene war schwanger. Gustl war ein Jahr alt und sie hatte gerade wieder angefangen zu arbeiten, Ernst studierte noch am Pädagogischen Institut und brachte kaum Geld nach Hause. Lene wollte nicht so rasch nach Gustl ein zweites Kind und ihre Eltern drängten sie zu einer Abtreibung. (Wegen auffälliger Herzgeräusche war der Eingriff legal möglich, heißt es in der Familie.)

      Ein paar Tage nach dem Eingriff kam es am 15. Juli 1927 zum Justizpalastbrand. Tausende von wütenden Arbeitern protestierten gegen das als ungerecht empfundene Urteil im sogenannten »Schattendorfer Prozess«, dabei brach Feuer im Justizpalast aus. Der Wiener Bürgermeister Karl Seitz und weitere sozialdemokratische Führer versuchten, die aufgebrachten Demonstranten zu beruhigen, doch diese weigerten sich, Löschwägen durchzulassen. Die Polizei fing an, in die Menge zu schießen. Am Ende des Tages gab es 89 Tote.

      Auch Ernst Papanek fuhr zum Justizpalast, um beruhigend auf die Arbeiter einzuwirken. Die ganze Nacht über meldete er sich nicht, niemand wusste, wo er war und ob er noch lebte. Lene saß schlaflos neben dem Telefon, mehr besorgt als wütend.

      Um 10 Uhr morgens rief Ernst endlich an. »Ich war froh, dass ihm nichts passiert war«, erinnerte sich Lene Papanek noch Jahrzehnte später. »Und ich war stolz, dass er so einen Einfluss auf die Arbeiter hatte und Seitz helfen konnte. Aber ich war auch verletzt und hatte das Gefühl, dass er mich und unsere Liebe vergessen hatte. Er hätte sich Sorgen um mich machen sollen, so kurz nach der Abtreibung.«

      Mit etwas Abstand stellte sie resigniert fest: »Das ist der Nachteil, wenn man mit einem Mann verheiratet ist, der sein Leben der Rettung der Menschheit gewidmet hat.«

      4.

      Auf dem Weg in den Untergrund

      Bilder einer politischen Karriere im Roten Wien:

       Ernst Papanek spricht 1933 bei einer illegalen Maifeier im Wienerwald vor einer Gruppe Kinder …

      … und bei einem Aufmarsch der Sozialistischen Arbeiterjugend.

      1931 steht er links von Otto Bauer bei dessen Rede zur Internationalen Arbeiterolympiade in Wien.

      Der Genosse Papanek zeigt sich in seinen Reden kämpferisch, 1932 lädt er zur »Abrechnung mit dem Nazi-Großmaul«.

      Es gibt ein Foto von meiner Großmutter aus ihrer Zeit bei den Roten Falken, einer Jugendorganisation der Sozialdemokraten. Das Foto ist schwarz-weiß und trotzdem strahlen mir die rote Krawatte und das knallrote Falkenabzeichen geradezu entgegen. Mein Vater war mit 16 Jahren Praktikant bei der Arbeiter-Zeitung und mein Uropa mütterlicherseits war als lebenslanger Kinderfreunde-Gruppenleiter im Herzen so rot gefärbt, dass er einmal aus antikapitalistischer Überzeugung ein Erbe ablehnte. Trotzdem wusste ich vor dem Schreiben dieses Buches sehr wenig über die Geschichte


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