Geschwistergeschichten. Arlette Schnyder
entschied, die Haushaltlehrerinnenschule in Zürich zu absolvieren. 1908 schloss sie ihre Ausbildung ab. 1909 fuhr sie, gerade 21-jährig, nach England, wo sie – wie ihre Schwester zuvor – als Erzieherin arbeitete und ein Englischlehrdiplom erwarb. Nach einem Jahr kehrte sie in die Schweiz zurück und übernahm 1911 die Stelle einer Kochlehrerin im Kurhaus Heinrichsbad im sankt-gallischen Herisau. Dort arbeitete sie bis 1919, zuletzt als Hausvorsteherin. 1919 trat sie ihre Lebensstelle an der Seite ihrer Schwester am Evangelischen Töchterinstitut an. Sie unterrichtete zunächst als Kochlehrerin, dann stand sie der Schule bis 1950 als Leiterin vor. Sie zog nach der gleichzeitigen Pensionierung mit ihrer Schwester nach Zürich und richtete in der Nähe des jüngsten Bruders für Rosa, für die zwölf Jahre ältere Hedwig und für sich eine Wohnung ein. Als Letzte der zwölf Geschwister starb Martha 1985 mit 98 Jahren in einem Altersheim in Zürich.
11 Martha Schnyder, um 1930.
KARL SCHNYDER
Karl kam 1888 in Zofingen als dritter Knabe von Johannes Schnyder und erster überlebender Knabe von Caroline Schnyder-Wyttenbach zur Welt. Nach der Primar- und Sekundarschule in Bischofszell trat der 13-Jährige im Todesjahr des Vaters in das Gymnasium an der Evangelischen Lehranstalt in Schiers ein. Nach der Matura studierte er in Lausanne, Basel und Leipzig Medizin und schloss 1913 mit dem Staatsexamen ab. Als Assistenzarzt arbeitete er in Innsbruck, Basel, in Riehen und im Thurgau und trat 1919 die ärztliche Praxis in Küblis an, deren Einzugsgebiet das ganze Mittelprättigau im Kanton Graubünden umfasste. Karl heiratete Gertrud Glaser, eine Ärztetochter und Krankenschwester. In den Jahren 1919–1923 kamen zwei Knaben und zwei Mädchen zur Welt. Der viel beschäftigte Arzt war während Jahren Präsident des Schulrats. Karl Schnyder starb 71-jährig, nach einem Spitalaufenthalt, zu Hause.
12 Karl und Gertrud Schnyder-Glaser mit ihren zwei Söhnen und zwei Töchtern, Küblis um 1930.
GERTRUD SCHNYDER
Ein Jahr später, 1889, brachte Caroline Schnyder Gertrud zur Welt. Nach Primar- und Sekundarschule besuchte auch sie die Ecole Supérieure im Pensionat in Morges, danach Koch- und Fortbildungskurse in Bischofszell, wo sie der Mutter auch im Haushalt half. 1907 besuchte Gertrud in Bern an der Neuen Mädchenschule den Kindergartenkurs. Bis 1913 arbeitete sie als Kindergärtnerin in Bischofszell. 1913 trat sie ins Diakonissenhaus Riehen ein, 1919 wurde sie als Schwester eingesegnet. Sie arbeitete in Basel, Bern, Schaffhausen, Aarau und Zürich in verschiedenen Spitälern. 1932–1934 pflegte sie die Mutter in Bischofszell bis zu ihrem Tod. 1937–1940 unterstützte sie ihre Schwester Hanna bei der Pflege der Tante Peyer in Zofingen. Ab 1955 hielt sich Gertrud im Diakonissenhaus in Riehen auf, wo sie 1980, 91 Jahre alt, starb.
13 Gertrud Schnyder, um 1910.
PAULA SCHNYDER
Als fünfte Tochter Caroline Schnyders kam Paula 1891 in Zofingen zur Welt, wo ihre Familie bereits den Umzug nach Bischofszell vorbereitete. Dort besuchte sie bei ihrer ältesten Halbschwester Lilly die Primarschule. Nach abgeschlossener Sekundarschule, Konfirmation und obligatem Welschlandjahr, das auch sie in Morges verbrachte, durfte Paula am Lehrerinnenseminar in Basel die dreijährige Ausbildung machen. Dank Kriegsvikariaten fand sie von 1914 bis 1918 in Müllheim und Münchwilen Anstellungen. Nach dem Krieg allerdings findet man die diplomierte Lehrerin als Schülerin im Kochkurs ihrer Schwester Martha im Herisauer Heinrichsbad, als Vertreterin ihrer in Italien weilenden Schwester Rosa in Horgen, als Lehrerin am ärztlichen Landerziehungsheim in Ermatingen, als Sprachlehrerin an einem Internat in Edinburgh. 1924, zehn Jahre nach ihrer Patentierung, wurde sie als Nachfolgerin ihrer Schwester Lilly an die Primarschule Bischofszell gewählt, wo sie bis zu ihrer Krankheit 1945 unterrichtete. Sie starb 1946, 55-jährig, im Spital Wädenswil an Krebs.
14 Paula Schnyder, um 1930.
WALTER SCHNYDER
1897 brachte Caroline Schnyder ihren zweiten überlebenden Sohn, Walter, in Bischofszell zur Welt. Sechs Jahre jünger als Paula, war er ein Nachzügler. Seine Mutter war zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt, sein Vater 52. Mit vier Jahren verlor er seinen Vater. Dank der Unterstützung der älteren Geschwister konnte Walter nach der Sekundarschule das Gymnasium in Schiers besuchen. Wie Karl begann er sein Studium in Lausanne und immatrikulierte sich dann in Basel in den Fächern deutsche und französische Sprache sowie Geschichte. Nach dem 1922 bestandenen Doktorexamen schloss er seine Studienzeit mit Auslandsemestern in dem unter der Inflation der Nachkriegsjahre leidenden Berlin und in Paris ab. Danach folgte ein zweijähriger Aufenthalt als Hauslehrer in Mailand. Eine Anstellung als Mittelschullehrer in Zürich ermöglichte ihm die Rückkehr. 1928 heiratete er Martha Stähelin aus Basel. Zwischen 1929 und 1936 kamen vier Kinder zur Welt, ein Mädchen und drei Knaben. Der junge Vater unterrichtete zunächst an der Privatschule Minerva in Zürich, dann arbeitete er als Hilfslehrer an der Töchterschule auf der Hohen Promenade. 1936 wurde er als Hauptlehrer für Deutsch und Geschichte an die Töchter-Handelsschule gewählt, wo er bis zu seiner Pensionierung 1963 unterrichtete. Walter Schnyder war als Gemeinderat der Evangelischen Volkspartei anzutreffen, amtete in der Kirchenpflege, sass im Vorstand von Erziehungsheimen und versah das Amt des Präsidenten der Freien Evangelischen Schule. Er starb 1977, 80-jährig, zu Hause.
15 Walter und Martha Schnyder-Stähelin mit ihrer Tochter und zwei Knaben, Zürich um 1933.
FAMILIENTAFEL
BAUERNSOHN UND HÖHERE TÖCHTER
WURZELN UND WERTE DER BILDUNGSBÜRGERLICHEN PFARRFAMILIE
16 Musizieren im Internat in Schiers.
Die Fallstudie einer Pfarrfamilie um 1900 ist zugleich diejenige eines bürgerlichen Vorbildes, eines exemplarischen Einzelfalls, der möglicherweise schon von den historischen Akteuren selbst als eine Inszenierung erlebt wurde: «Seinen Bewohnern erscheint das Pfarrhaus denn auch als eine Bühne, ihr familiäres Leben als Theater. Als spielten sie ihr privates Leben anderen vor, als führten sie ihre Ehe für andere, erzögen ihre Kinder für andere, als inszenierten sie die intimen Szenen des Familienlebens für andere; kurz: als führten andere Regie im Glashaus, so stellt sich der Pfarrfamilie ihre eigene Welt dar, jene bürgerliche Lebenswelt, die das klassische bürgerliche Theater als Spiegel ihrer selbst schuf und die Puppenstube als Miniatur ihres Lebenskreises.»1 Was Wolfgang Steck über die reformierte, deutsche Pfarrfamilie des 19. Jahrhunderts schrieb, konnte David Gugerli für die schweizerische Pfarrfamilie im 18. Jahrhundert festhalten: «Ein besonders christlicher Mann, der ein Pfarrer von Amtes wegen zu sein hat, muss auch eine besonders christliche