Musikdramaturgie im Film. Robert Rabenalt

Musikdramaturgie im Film - Robert Rabenalt


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Strukturelemente wie Intrige und Gegenintrige, Handlungsumschwünge (plot points) und retardierende Momente zu einer auf das Ende hin orientierten Spannungskurve integriert sind.

       3. Perzeptionsgeleitete Strukturen sind im Gegensatz zu den beiden anderen Typen wenig evident und bedürfen sogar der Wiederholung, um zunächst unbewusste Prozesse zur Aufschlüsselung der Vorgänge in Gang zu setzen, die nach und nach ins Bewusstsein treten. So entstehen Topik-Reihen, die in offenen Erzählformen Strukturen herausbilden, die als Ersatz für eine meist fehlende offensichtliche Handlung bzw. Handlungslogik dienen.88

      Auch für neuere Dramaturgien und Filmdramaturgie ist der Fabelbegriff anwendbar, wenn er nicht nur auf die Kausalkette und ihre raumzeitliche Organisation begrenzt bleibt, was Wuss (Wuss 1992, Wuss 1993/1999, Wuss 2009) und Eco (Eco 1973/1977, Eco 1979/dt. 1987) belegen. Das Universelle des Fabelbegriffs, das ihn für Filmfabeln geeignet werden lässt, liegt in der Möglichkeit, darunter ganz unterschiedliche Bindungsgesetze, Strukturtypen und Wechselbeziehungen zwischen Figur, Konflikt und Handlung zu verstehen. So ergibt sich die Fabel als ein Prinzip, bei dem sich verschiedene grundlegende Fabeltypen unterscheiden lassen. Die Eigenart und Entfaltungsformen einer Filmfabel sind insofern mediumspezifisch, weil sie durch Zusammenwirken visueller und auditiver Mittel mitbestimmt werden und inhomogene, in sich differenzierte Anteile einschließen. Das Konzept der Fabel eignet sich für die Filmanalyse und Filmmusiktheorie insbesondere deswegen, weil der »ganzheitliche Zusammenhang des Kunsterlebens im Auge […] behalten« werden kann,

      »während man Teilmomente der Komposition betrachtet […]. Die Einsicht in die Dialektik von Teil und Ganzem wurde erleichtert durch das Zustandekommen von Sinnbezügen, die zur Kohärenz des Werkes führten, zugleich nachvollzogen, vergegenwärtigt und erklärbar gemacht.« (Wuss 1990, S. 91)

      Dass für all die genannten Komponenten ein alternativer Begriff zu Fabel zur Verfügung stünde, ist mir bisher nicht bekannt. Trotz des historischen Ballasts soll der Begriff Fabel daher für die Musikdramaturgie im Film Verwendung finden.

      Fabel und Sujet sind als dialektisch funktionierendes Paar zu verstehen, bei dem die Fabel das abstrakte, einheitsstiftende Prinzip zur raumzeitlichen Handlungsorganisation einerseits und das Sujet die Auswahl möglicher Motive und konkrete Ausgestaltung unter den äußeren und medialen (z. B. filmischen) Bedingungen andererseits darstellt. Der Begriff »Sujet« wird hier also nicht in der auch mit »Milieu« zu verstehenden Bedeutung verwendet, auch wenn es bezüglich der Konkretisierung der Handlung und ihrer visuellen Erscheinung im Film eine Schnittmenge gibt. Die Fabel ist materiell kaum präsent und korrespondiert nur in wenigen, aber entscheidenden Momenten mit der offensichtlichen Handlung. Im Sujet konkretisiert sich die Handlung, die in ihrer Grundrichtung der Fabel folgt. Das Sujet bestimmt aber die konkreten Bedingungen und die äußere Erscheinung der Vorgänge.

      Léon Moussinac charakterisierte in der frühen Filmtheorie das Sujet als ein einen »Vorwand« gebendes »visuelles Thema« (Moussinac 1925, S. 77). Hierauf kann wiederum ein Grundkonflikt, der durch die Fabel bestimmt wird, aufbauen, denn das Sujet liefert eine konkrete Variante für die den Konflikt auslösende Grenze. Sie zeigt die konkrete Seite eines in der Fabel nur abstrakt angelegten Konfliktes und wie er durchgeführt wird.

      Jurij Lotman beschreibt die Grenzen, die das Sujet vorgibt, genauer und lässt die dramaturgische Relevanz erkennen:

      »Gerade die Überschreitung einer Verbotsgrenze bildet bedeutungstragende Elemente im Verhalten einer Person, d. h. das EREIGNIS [H. i. O.]. Da die Zweiteilung des Sujetraums durch eine Grenze ja nur die elementarste Form der Gliederung darstellt (viel häufiger haben wir es mit einer Verbotshierarchie unterschiedlicher Bedeutungshaltigkeit und unterschiedlichen Werts zu tun), wird die Durchbrechung der Verbotsgrenzen in der Regel nicht als einmaliger Vorgang, als Ereignis, sondern als eine Kette von Ereignissen, als Sujet realisiert.« (Lotman 1977, S. 102)

      Im Märchen sind oft Reichtum und Armut, Standesgrenzen, Gut und Böse solche sujetbedingten Grenzlinien. Im Modell der Heldenreise wird besonders anschaulich, wie eine Fabel selbst schon universelle Grenzlinien und Gesetze beinhaltet, diese aber in unterschiedlichen Sujets bzw. Handlungen individuell umgesetzt werden können.89 Generell ließe sich von charakteristischen, den Figuren konkret zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen sprechen, wenn die Bedeutung des Sujets beschrieben werden soll.

      Einen wesentlichen Einfluss auf die Begriffsprägung hatte die russische Literaturtheorie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, auf die auch Bordwell zurückgreift. Er verwendet sogar die englisch umschriebene russische Aussprache des ursprünglich französischen Wortes Sujet (sjužetsyuzhet). Die russischen Formalisten führten zur genaueren Erläuterung dessen, was eine Fabel ausmacht, den Begriff des »Motivs« ein, benannten Auffassungen darüber, wie Motive verknüpft werden und installierten das Fabel-Sujet-Begriffspaar. Wie Schmid darstellt, changieren aber die Bedeutungen dieses Begriffspaares (Schmid 2014, S. 205–222). Das trifft auch auf die vonseiten der französischen Strukturalisten gebildeten Analogien histoire und discours (Todorov und Jakobson 1966) zu, die zur Überwindung der in dieser Dichotomie begründeten Reduktionen entwickelt wurden und auch zu Genettes Ideen zur Narratologie führten (Kuhn 2011, S. 128–131). Immer wieder wird auch Chatman in der Literatur- und Filmtheorie zitiert. Er definierte story (analog – aber nicht identisch – zu Fabel) und discourse (analog – aber nicht identisch – zu Sujet) vereinfachend so: »In simple terms, the story is the WHAT in a narrative that is depicted, the discourse the HOW. [H. i. O.]« (Chatman 1978, S. 19). Genette prägte zudem analog – aber nicht identisch – zu Sujet den Begriff récit (Genette 1972/dt. 1994).90

      Im Sinne der russischen formalistischen Theorie der 1920er Jahre bildet die Fabel ein Schema für die vom Erzählmedium unabhängigen Ereignisse. Das Sujet bildet dagegen ein Schema für die Ausarbeitung des Werkes. Wie Schmid darlegt, gab es schon von Anfang an grundsätzliche Probleme beim Fabel-Sujet-Begriffspaar, speziell dabei, ob das Sujet auch die mediumspezifischen Mittel enthält:

      »Die handliche Fassung, die Tomaševskij dem formalistischen Fabel-Sujet-Paar gab, kann nicht das grundsätzliche Problem verdecken, das der Dichotomie von Anfang an innewohnte, nämlich die Ambivalenz beider Begriffe. Der Fabelbegriff oszillierte zwischen zwei Bedeutungen: (1) Material im Sinne des vorliterarischen Geschehens, (2) mit Anfang und Ende versehene und auch intern strukturierte Folge von Motiven in ihrem logischen, kausal-temporalen Zusammenhang. Der Sujetbegriff schwankte zwischen den Bedeutungen (1) energetische Kraft der Formung, (2) Resultat der Anwendung verschiedener Verfahren. In der zweiten Bedeutung blieb unklar, welche Verfahren Anteil haben sollten und in welcher Substanz das Sujet zu denken sei, ob es bereits als in der Sprache der Kunst (der Literatur, des Films, der Musik usw.) formuliert oder als medial noch nicht substantiierte Struktur vorgestellt werden müsse.« (Schmid 2014, S. 218)

      Thompson und Bordwell schließen die mediumspezifischen, strategisch eingesetzten Mittel im Begriff syuzhet nicht mit ein, sondern eröffnen dafür eine neue Kategorie: style (Bordwell 1985, S. 49f.). Die Definitionen von Fabel, Sujet und style lauten bei Bordwell demnach so:

      »The imaginary construct we create, progressively and retroactively, was termed by Formalists the fabula (sometimes translated as ›story‹). More specifically, the fabula embodies the action as a chronological cause-and-effect chain of events occurring within a given duration and a spatial field. […] A film’s fabula is never materially present on the screen or soundtrack. […]

      The syuzhet (usually translated as ›plot‹) is the actual arrangement and presentation of the fabula in the film. […] ›Syuzhet‹ names the architectonics of the film’s presentation of the fabula. […] Logically, syuzhet patterning is independent of the medium; the same syuzhet patterns could be embodied in a novel, a play, or a film.

      […] ›style‹ simply names the film’s systematic use of cinematic devices. Style is thus wholly ingredient to the medium. Style interacts with syuzhet in various ways; […]« (Bordwell 1985, S. 49–50)

      Auffällig


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