Musikdramaturgie im Film. Robert Rabenalt

Musikdramaturgie im Film - Robert Rabenalt


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verzichten und er diesen durch die Differenzierung in Geschehen und Geschichte ersetzt. Schmid thematisiert aber die für die Fabel essenziellen qualitativen Kriterien zur Auswahl der Geschehnisse und deren Anordnung als Geschichte bzw. Handlung und nennt explizit den Vorgang der Komposition als Bindeglied beim Zusammenspiel von Fabel und Sujet.

      Der Erkenntnisgewinn, der mit der Terminologie der Erzähltheorie gezogen werden kann, betrifft die Grenzziehung zwischen narrativen Ebenen und Erzählinstanzen und erklärt die grundlegenden Prinzipien der Fokalisierung, die auch für Dramaturgie entscheidend sind. Auch nach reichlicher Prüfung ist nicht ganz klar, inwieweit dies auf den Film übertragbar ist. So bezieht sich z. B. externe (non-diegetisch genannte) Musik mal bestätigend oder mal ergänzend auf die Zeigehandlung und steht nicht in Opposition zu ihr, wie der Begriff non-diegetisch suggeriert.73 Musik, Bild, Montage und Sprache können in der Kunstform Film unterschiedliche, sich sogar ergänzende Fokalisierungen umsetzen. Ebenso verhält es sich mit den durch Musik in Ergänzung zu den genannten anderen Mitteln hervorgerufenen Affekten und emotiven Wirkungen. Fokalisierung und die Dichotomie aus diegetisch/nicht-diegetisch bzw. Abstufungen, die sich aus den sich überkreuzenden Theorien ergeben, kommen den filmdramaturgischen und musikalischen Besonderheiten im Kino aus meiner Sicht nur begrenzt nahe.

      Für die Filmmusikforschung gäbe es mit der Besinnung auf ein modernes, allerdings auch noch filmästhetisch zu untermauerndes Konzept der Fabel methodische und terminologische Alternativen zur derzeitigen narratologischen Perspektive, da genau diese qualitativen Kriterien, die einen fertigen Film meist unsichtbar durchziehen, durch Filmmusik angesprochen bzw. wirksam werden können. Dazu müsste der aktualisierte Fabelbegriff mit der aristotelischen Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Nachahmung verbunden und die Unterscheidung poetischer Modi in dramatisch, episch und lyrisch mit ihren filmischen Gestaltungsmitteln sowie eine filmästhetische Auslegung von Montage, die über linear-narrative Formen hinausgeht, berücksichtigt werden.

      Zwar reflektiert Bordwell, der für die meisten Filmologen und Filmmusikforschenden direkt oder indirekt als Referenz dient, einige dieser Bereiche bereits (Aspekte der Poetik von Aristoteles, die Erzähltheorie der russischen Formalisten und die Montagetheorie Eisensteins), doch erhält seine herausgefilterte Essenz dieser Theorien in allen drei Fällen Reduktionen oder missverständliche Lesarten, die – wie gezeigt und im folgenden Kapitel noch konkretisiert wird – kritisiert werden können. Nicht zuletzt die umfassende Reflexion und Diskussion zur Narratologie, die von Schmid vorgelegt wurde (Schmid 2014), sowie die filmspezifische Erneuerung der Konzepte Fabel und Sujet durch Wuss (Wuss 1990, Wuss 2009) und Eco (Eco 1973/1977, Eco 1979/dt. 1987) gaben und geben der Kritik neue Impulse.

      Einige der hier diskutierten narratologischen Begriffe bringen die filmspezifische Umsetzung einer Geschichte in umständlicher Weise zum Ausdruck. Eine Kennzeichnung narrativer Ebenen bzw. Instanzen und Räume ist im Film schwerer als in der Literatur vorzunehmen, weil die Präzision der sprachlichen Grammatik fehlt, weil unterschiedliche Medien an der Umsetzung beteiligt und zudem in ihrer Anordnung flexibler und dynamischer sind als in der Literatur. Für die Erklärung der dramaturgischen Bedeutung eines filmmusikalischen Phänomens erscheint mir die Terminologie damit ungeeignet.

      Zusammenfassend lassen sich die Probleme mit dem Begriffspaar diegetisch/non-diegetisch so beschreiben:

       1. Die Begriffswahl ist schon bei Souriau unglücklich, weil die an sich essenzielle Abgrenzung zwischen imaginativem Handlungsraum und den Mitteln, die ihn erzeugen, nicht durch die ursprüngliche Bedeutung von diegesis zum Ausdruck kommt. Es erfolgte daher eine Umwertung des Begriffs zu Diegese, wodurch das funktionierende dramaturgische System der Unterscheidung von mimesis und diegesis (im Sinne von Aristoteles »zeigende« und »erzählende Darstellung«) unbrauchbar wird, denn der Begriff Diegese nach Souriau trägt nun wesentliche Aspekte des mimetischen Modus der Darstellung in sich.

       2. Die notwendige Unterscheidung zwischen diegesis und Diegese, die Genette vornimmt, verliert sich bei der Installation des Begriffspaares diegetisch/non-diegetisch.

       3. Das Begriffspaar liefert Ursachen für die andauernden Schwierigkeiten, eine konsistente Theorie der auditiven Ebenen im Film zu entwickeln. Das selektive Herauslösen von Komponenten eines komplexen filmologischen (z. B. von Souriau) und eines komplexen narratologischen Modells (z. B. von Genette), die auf einen Dualismus reduziert werden, führen zu Widersprüchen in fast allen Modellen, selbst wenn Ergänzungen integriert werden. Weiteres Auffächern der Kategorien führt die Terminologie von den filmästhetischen Grundlagen (insbesondere vom praktischen wie auch ästhetischen Verständnis der Montage, die auch Ton und den Einsatz von Musik betrifft) weiter weg.

       4. Das konstituierende filmästhetische Prinzip der Montage und die damit erzeugten spezifischen Phänomene der Filmmusik können mit dem Begriffspaar kaum erfasst werden und erzeugen daher fast notwendigerweise negative Zusätze wie temporal manipulation und spatially displaced sound.

       5. Die erzähltheoretischen Modelle für den Film, die zwischen narrativ (erzählter Welt) und narration (Handlung) unterscheiden und zusammen mit Fabel (fabula, Handlungsorganisation) und Sujet (syuzhet, Konkretisierung in der Aktion und einer gewählten Umgebung bzw. Zeit) filmische Narration erklären, bilden eine eigentlich sinnvolle Basis, die aber durch den widersprüchlichen Gebrauch des Begriffs »diegetische Musik« wieder unterlaufen wird (Welche Musik ist gemeint: im Handlungsraum = diegetisch oder aber Musik, die die Diegese stützt, aber nicht Teil des imaginativen Handlungsraumes ist?).

       6. Ein tieferer oder gar dramaturgischer Sinn des Wortes nicht-diegetisch bzw. non-diegetic lässt sich kaum entdecken, außer dass er als Gegenpol fungieren soll. Die Alternative »extra-diegetisch« funktioniert als Gegenpol nur in wenigen eindeutigen Fällen, weil auch externe Filmmusik oftmals eng an das interne Geschehen im Handlungsraum gekoppelt ist.

      Im letzten Bearbeitungsschritt eines Films, bei der Filmmischung, wird deutlich, dass die Grenze zwischen interner und externer Musik im Film nur ein kategoriales Gerüst ist, das zugunsten der dramaturgischen Überzeugungskraft mal streng getrennt und mal wieder zurückgenommen werden kann.

      Das Spezifische des filmischen Erzählens liegt insbesondere in der Flexibilität bei der Verortung und Gewichtung alles Klingenden, die durch Vorgänge in der Filmmischung realisiert werden.

      Ein Modell der auditiven Ebenen im Film müsste sich demnach den Interaktionen zuwenden, die einsetzen, sobald das kategoriale Gerüst aus interner und externer Zuordnung wieder wegfällt und der Film seine poetische Kraft und Eigenheit zeigt. Dieses Modell müsste selbstverständlich auch unterscheiden können, wann bei der Rezeption eine scharfe Trennung der Ebenen für die Dramaturgie eines Films wichtig ist.

      In den folgenden beiden Kapiteln wird der ursprünglich sehr alte, aber auch in einem modernen Verständnis taugliche Begriff »Fabel« eingehender erläutert. Zudem soll das Fabel-Sujet-Begriffspaar neu diskutiert werden. Eine Systematisierung unterschiedlicher Fabelkonzepte und Beispiele für den Fabelzusammenhang und Sujetbezug der Filmmusik wird später in den Kapiteln 4.4. und 4.5 vorgenommen.

      Als Fabel kann die für die Wirkung einer Geschichte entscheidende Handlungskomposition bezeichnet werden. Bedeutende, theoretisch und praktisch untermauerte Fabelkonzepte stammen von Aristoteles (Aristoteles ca. 335 v. Chr./2008), Lessing (Lessing 1767/69), Brecht (Brecht 1964a) und Tarkovskij (Tarkovskij, Schlegel und Graf 1985/2009). In der Filmpraxis werden individuelle Fabelkonzepte z. B. von Antonioni, Buñuel, Bergman u. a. Autorenfilmern realisiert oder aus literarischen Werken oder von Bühnenwerken übernommen. Deren grundlegende Fabelideen finden sich nicht selten in filmisch erzählten Geschichten wieder.

      Da »Fabel« auch als literarischer Gattungsbegriff (z. B. Tierfabeln) verwendet wird, hier aber – den genannten Autoren folgend – in seiner dramaturgischen Bedeutung eingesetzt wird, soll dieser Terminus nun definiert und näher erläutert werden.

      Die Fabel (auch: Handlungskomposition; ursprünglich im Griechischen mythos, im


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