Handbuch Bio-Gemüse. Verein Arche Noah

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man weiß mittlerweile, dass Pflanzen bestimmte Abwehrmechanismen gegen Schädlinge entwickeln können oder z.B. Nützlinge durch Duftsignale aktiv gegen einen Schädlingsbefall zu Hilfe holen können – und diese Eigenschaften kann man durch die Auslese solcher robusterer Pflanzen für den Samenbau fördern.

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       Der US-amerikanische „Amateurzüchter“ Tom Wagner züchtete in den 1970er Jahren die samenfeste Sorte ‚Green Zebra‘. Bis heute schwört er auf samenfeste Sorten, reist durch die Welt, hält Züchtungsvorträge und meint: „My seeds are your seeds!“

      Der Getreidezüchter Peter Kunz bezeichnet diese Mechanismen, die Pflanzen entwickeln können, als „Nachhaltige Resistenzen“, die auf dem Prinzip des „Lebens und Leben-Lassens“ basieren. Bei dieser Art von Resistenz findet z.B. ein Schadpilz zwar eine gewisse Verbreitung, die Pflanzen sind jedoch so robust, dass der Pilz nicht oder kaum ertragsmindernd wirken kann. In der „modernen“ professionellen Pflanzenzüchtung hat diese Form der Co-Evolution von Pflanze und Krankheit kaum einen Platz, da hier die meisten Züchtungsschritte der Resistenz-Züchtung im Labor stattfinden. Eine Co-Evolution von Pflanzen und Schädlingen hingegen braucht den Anbau der Pflanzen auf den Äckern und kann nicht ins Labor verlagert werden. Der Pflanzenzüchter Raoul A. Robinson propagiert die Züchtung von Kulturpflanzen in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit von PflanzenzüchterInnen und BäuerInnen in Form von „plant breeding clubs“.

      Pflanzen passen sich auch der Art und Weise, wie sie mit Dünger und Wasser versorgt werden, an. Wird z.B. eine Pflanze ausschließlich mit leicht wasserlöslichen, chemisch-synthetischen Düngern gedüngt und mit intensiver Bewässerung versorgt, besteht für die Pflanzen kein Anreiz, ein starkes Wurzelsystem auszubilden – und so kann auch keine Auslese in diese Richtung erfolgen. Sorten, die auf eher kargen Böden wachsen, bilden über Generationen ein stärkeres Wurzelsystem aus, denn jene Individuen gedeihen am besten, die gut aktiv Nährstoffe und Wasser aus dem Boden erschließen können.

      Vielfalt wurde kleiner

      In den letzten 100 Jahren sind viele Sorten der bäuerlichen und gärtnerischen Züchtung verloren gegangen. Laut Schätzung der UN-Welternährungsorganisation FAO sind weltweit seit Beginn des 20. Jahrhunderts 75 % der Kulturpflanzenvielfalt unwiederbringlich verschwunden. Die Gründe dafür waren – wenn wir die Landwirtschaft weltweit betrachten – mehrschichtig:

      • die Industrialisierung und Spezialisierung der Landwirtschaft

      • die Einführung von Hochleistungssorten, viele davon Hybridsorten

      • die Abnahme der landwirtschaftlichen Betriebe insgesamt und die Veränderung „traditionell” wirtschaftender Betriebe, der starke Rückgang der Selbstversorgungswirtschaft

      • die Verwendung von Sorten aus professioneller Züchtung statt eigenen Lokalsorten

      • die Umwidmung und Zerstörung landwirtschaftlicher Flächen

      • Kriege und Hungersnöte

      Vielfalt in unseren Gärten

      Wenn man in die mitteleuropäischen Gemüsegärten blickt, nimmt man in den letzten Jahrzehnten eine andere Entwicklung wahr: Während die Anzahl der unterschiedlichen Kulturarten auf den Äckern vielerorts abgenommen hat, ist die Anzahl der verschiedenen Kulturarten in den Gärten gestiegen. Kulturpflanzen sind neu hinzugekommen: Paradeiser und Paprika, Zucchini, Melanzani und Andenbeeren sind hierfür genauso Beispiele wie Speisekürbisse oder die Klettenwurzel.

      Ein Beispiel für neue Vielfalt – Paradeiser

      Tomaten oder Paradeiser sind in Österreich, der Schweiz, aber auch in Südtirol noch „junge“ Kulturpflanzen. Erst im Laufe der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden sie nach und nach bekannt. So erinnern sich viele ältere Menschen in Südtirol, dass sie die Früchte anfangs nicht gerne aßen. Der Gaumen musste sich wohl erst an den damals fremden und ungewöhnlichen Geschmack gewöhnen. Die ersten Sorten, die verbreitet waren, waren nach ihren Erzählungen Sorten mit runden, roten Früchten. Der bekannteste Sortenname war in Südtirol ‚Bozener Markt‘, die als Lokalsorte mit großen, glatten und runden, roten Früchten beschrieben wird. Eine andere Sorte, an die sich viele ältere BäuerInnen erinnern, ist der geschmackvolle Fleischparadeiser ‚Ochsenherz‘. Cocktailparadeiser, Buschparadeiser, Pelati-Paradeiser und andere Sortentypen kamen erst viel später in Umlauf. Seit einigen Jahren wird vielerorts eine große Sortenfülle angeboten und so lernen viele erstmals weißfleischige, orange oder violette Paradeiserfrüchte kennen. Ein Paradeiserzüchter, der die Vielfalt in den letzten Jahren stark geprägt hat, ist der US-Amerikaner Tom Wagner. Er selbst blieb relativ unbekannt, doch seine Züchtungen sind mittlerweile von New York bis Amsterdam, Wien und Hannover bekannt: Etwa die grüngelb gestreifte ‚Green Zebra‘, die Tom Wagner Anfang der 1970er Jahre züchtete, die gelbe ‚Banana Legs‘ oder die dunkle ‚Schimmeig Creg‘. Alle diese Sorten entstanden durch gezielte Kreuzungen zwischen verschiedenen samenfesten Sorten und anschließender Auslese. Tom Wagner hat übrigens nie einen Sortenschutz oder Patente auf die von ihm gezüchteten Sorten beansprucht. „My seeds are your seeds“, mit dieser Botschaft hat er sich 2009 auf eine Vortragsreise durch Europa gemacht und seine Züchtungen allen Interessierten zur Verfügung gestellt.

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       „Neue“ und „alte“ Kulturpflanzen in unseren Gärten: Zucchini und Andenbeere, Paradeiser und Tomatillo

      Hybridsaatgut

      Hybridsorten sind „Einmalsorten“. Sie können im Hausgarten nicht sinnvoll weiter vermehrt werden und müssen jährlich neu gekauft werden. Wird eine Hybridsorte weiter vermehrt, spaltet sie in verschiedene Formen auf; die Sorte als solche ist nicht beständig. Darin liegt ein Vorteil für die Firmen. Die Hybridtechnik kann als eingebautes „copyright“ einer Sorte bezeichnet werden. Rechtliche Sortenschutz-Systeme sind auf gesetzliche Verankerung und auf deren Überprüfung angewiesen, der „biologische Sortenschutz“ hingegen nicht.

      Zurzeit werden viele samenfeste Sorten von den Sortenlisten gestrichen, der Anteil der gelisteten Hybridsorten steigt rasant. Z.B. waren im Jahr 1985 204 hybride Karottensorten im gemeinsamen EG-Sortenkatalog gelistet (das sind 43 % aller Karottensorten), im Jahr 1999 lag der Anteil bereits bei 366 Sorten und 73 %. Bei Paradeiser, Paprika oder Chinakohl liegen die Anteile mittlerweile bei ca. 80 %.

      Hybridsaatgut steht am Ende eines mehrere Schritte umfassenden Vermehrungszyklus. Am Beginn steht das Erstellen von Inzuchtlinien. Einzelne Pflanzenindividuen werden mit sich selbst gekreuzt, um reinerbige (homozygote) Linien zu erhalten. Da die meisten Gemüse-Kulturarten Fremdbefruchter sind, muss die Pflanze für diese „erzwungene Selbstbefruchtung“ überlistet werden. Dies geschieht bei manchen Kulturarten mittels Einsatz biotechnologischer Methoden in den Labors der Züchtungsfirmen.

      Hybridsorten bieten keine Grundlage für eine weitere Entwicklung der Kulturpflanzen und der Sortenvielfalt. Durch die Hybridzüchtung wird die Spezialisierung und damit auch die Abhängigkeit zwischen Züchtung und landwirtschaftlicher Produktion fortgeschrieben. Und schließlich kann der großflächige Anbau der sehr homogenen Hybridsorten auch ökologische Probleme mit sich bringen (Schädlingsdruck, Krankheitsdruck).

       Woran erkenne ich samenfeste Sorten?

      Einem Samenkorn ist die Technik, mit der es gezüchtet wurde, äußerlich nicht anzusehen. Auch, ob es sich um eine samenfeste Sorte oder um Hybridsaatgut handelt, kann man am Samenkorn selbst nicht erkennen. Bei folgenden Sorten kann man davon ausgehen, dass sie samenfest und somit auch im Hausgarten vermehrbar sind:

       Land-, Lokal- oder Hofsorten

      Sorten,


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