Handbuch Bio-Gemüse. Verein Arche Noah

Handbuch Bio-Gemüse - Verein Arche Noah


Скачать книгу
Paradeiser“ oder „die Bohne “ bezeichnet. Viele Landsorten weisen eine typische Variabilität zwischen den einzelnen Pflanzen auf.

       Alte gärtnerische Zuchtsorten

      Manche Sortennamen waren bereits unseren Großmüttern und Großvätern bekannt. Der Karfiol ‚Erfurter Zwerg‘ z.B. oder der Kopfsalat ‚Maikönig‘, der im Jahr 1902 als Neuheit vorgestellt wurde. Viele dieser Sorten tragen den Namen des Gemüsebaugebiets, in denen sie gezüchtet wurden: So das Weißkraut ‚Stuttgarter Filderkraut‘, das Rotkraut ‚Erfurter Schwarzkopf‘ oder der Kohlrabi ‚Wiener blauer Glas‘. Andere ältere, gärtnerische Sorten haben malerische Namen wie der bereits genannte ‚Maikönig‘, oder ‚Wunder der vier Jahreszeiten‘.

       Neue Sorten aus biologischer Züchtung

      Die biologische und insbesondere die biologischdynamische Züchtung arbeitet mit samenfesten Sorten. Die biologische Landwirtschaft strebt ein System der geschlossenen Kreislaufwirtschaft an. Umgelegt auf die Pflanzenzüchtung bedeutet dies, dass Sorten eine natürliche Reproduktionskraft und eine hohe Vitalität haben müssen, um wiederum fruchtbare Samen hervorbringen und sich somit einem Standort anpassen zu können. Viele dieser Sorten sind erst in den letzten Jahrzehnten entstanden. In Deutschland, der Schweiz und Österreich arbeitet eine wachsende Gruppe biologisch-dynamischer Züchterinnen und Züchter an der Neuzüchtung verschiedenster Gemüsesorten. Viele dieser Sorten sind Züchtungen des Vereins Kultursaat e.V. (siehe www.kultursaat.org).

      Von folgenden Kulturarten sind derzeit nur samenfeste Sorten am Markt, weil die Hybridzüchtung entweder züchtungstechnisch schwer möglich oder die Kulturarten kaum eine Bedeutung im Erwerbsanbau haben: Salat, Gartenbohne, Erbse, Petersilie.

      Die Ent-Privatisierung der Kulturpflanzen

      In den letzten Jahrzehnten wurden private Eigentumsrechte an Sorten von Pflanzenzüchtungsunternehmen immer mehr durchgesetzt. Sorten, die durch Sortenschutz oder Patente geschützt oder als Hybrid-Sorten „biologisch patentiert“ sind, sind nicht mehr Gemeingut, das von anderen Bäuerinnen und Bauern, Züchterinnen und Züchtern frei für ihre Zwecke verwendet werden kann. Die Vielfalt an Kulturpflanzen ist aber gerade durch diese freie Verfügbarkeit entstanden. Samen gelangten mit Menschen an neue Orte, fanden neue Standortbedingungen vor, wurden nach anderen Gesichtspunkten ausgelesen und veränderten sich. Vor allem Bäuerinnen und Bauern der Länder des Südens wissen, was es bedeutet, wenn Saatgut kein frei verfügbares Gemeingut mehr ist, wenn Sorten durch Patente mit Eigentumsrechten versehen werden, wenn aus dem lebendigen Samenkorn eine leblose Ware gemacht wird. Viele Menschen in den Ländern des Südens reagieren mit Empörung, wenn Sorten patentiert werden, wenn Gemeingut privatisiert wird, oder wenn Sorten dahingehend manipuliert werden, dass sie ihre Fruchtbarkeit verlieren.

      „Keine Kulturpflanzen ohne Fruchtbarkeit“ – auf diesen Kurzsatz lässt sich die Entstehung der Kulturpflanzen aus Wildpflanzen reduzieren. Ebenso konnte die Vielfalt der Kulturpflanzenarten und -sorten nur über lange Zeiten und an verschiedenen Orten in den Händen von Bäuerinnen und Bauern entstehen. Somit lässt sich die Aussage auch transformieren in: Keine Vielfalt ohne Fruchtbarkeit.

      Ausblicke

      Gärten sind Experimentierflächen, Versorgungsflächen, Rückzugsflächen – sowohl für Menschen als auch für Pflanzen. Gärten sind nicht nur Orte, an denen Pflanzen Wurzeln schlagen können, für viele Menschen sind Gärten auch jene Freiräume, in denen sie an neuen Orten Wurzeln schlagen können. Viele Gärtnerinnen und Gärtner sind Amateure und dies im positivsten Sinne des Wortes: Im Wort steckt die lateinische Wurzel „amare“. Amateurinnen und Amateure sind Menschen, die lieben, was sie tun. Jack Harlan, einer der Pioniere der systematischen Sammlung und Erhaltung von Kulturpflanzensorten, prophezeite vor vielen Jahren, dass, wenn die Vielfalt der Kulturpflanzen erhalten bleiben soll, es letztlich die Amateure sein werden, die sie retten – Menschen, die ihre Saaten lieben. Und er fügte hinzu, dass „es in der gesamten Menschheitsgeschichte immer Amateure gewesen seien, die Vielfalt bewahrt hätten.“ In den Hausgärten haben viele „alte“ Sorten überlebt, gleichzeitig sind gerade die Hausgärten immer wieder offen für neue Kulturpflanzen. Welche Pflanzen wohl in 100 Jahren auf diesen kleinen, eingehegten und umhegten Fleckchen Einzug halten werden?

      Das Manifest zur Zukunft des Saatguts

      Weltweit haben Menschen begonnen, sich gegen die Privatisierung ihrer Kulturpflanzen zur Wehr zu setzen. In Indien schließen sich Frauen zusammen, um in regionalen, selbst verwalteten Pflanzenbörsen ihre lokale Pflanzenwelt für ihre Dorfgemeinschaften zu erhalten. Sie haben die Vertretungen der multinationalen Saatgutkonzerne aus ihrer Region vertrieben. In Mexiko protestieren die Bauern und Bäuerinnen gegen die Patentierung ihrer traditionellen Maissorten durch USKonzerne. In Mali hat die Versammlung der Bauern beschlossen, keine gentechnisch veränderten Pflanzen in ihrem Land zuzulassen und die einheimischen Kulturpflanzen als Grundlage ihrer Ernährungssouveränität zu schützen. In Europa mehren sich die Initiativen zur Rekultivierung so genannter „alter“ Landsorten, Bauern und Bäuerinnen fordern ihr uraltes Recht ein, die Samen der von ihnen angebauten Pflanzen wieder aussäen und frei untereinander tauschen zu dürfen.

      Die indische Aktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Vandana Shiva engagiert sich seit drei Jahrzehnten für die Rechte der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Unterstützt von zahlreichen engagierten Menschen hat sie gemeinsam mit dem Präsidenten der Region Toskana, Claudio Martini, die „Internationale Kommission zur Zukunft der Lebensmittel und der Landwirtschaft“ gegründet. Diese hat im Frühjahr 2007 das „Manifest zur Zukunft des Saatguts“ verfasst – ein Aufruf zum freien Austausch von Saatgut unter Bäuerinnen und Bauern:

      „Saatgut ist ein Geschenk der Natur, vergangener Generationen und unterschiedlicher Kulturen. Wir haben die Verantwortung, es zu schützen und an zukünftige Generationen weiter zu geben. Saatgut steht am Anfang der Nahrungskette, ist Ausdruck der biologischen und kulturellen Vielfalt und Ausgangspunkt künftiger Entwicklung und Evolution. Seit der Neolithischen Revolution vor etwa 10.000 Jahren arbeiteten Bäuerinnen und Bauern in ihren Gemeinschaften und Gemeinden an der Verbesserung der Erträge, des Geschmacks und der Ernährungsqualität der Kulturpflanzen. Sie entwickelten sich bald zu Expertinnen für den gesundheitlichen Wert und die Heilkraft ihrer Pflanzen, aber auch für deren Wachstumsbedingungen und ihre wechselseitige Wirkung mit anderen Pflanzen, Tieren, Boden und Wasser. Seltene und oft zufällige Kreuzungsereignisse führten bei einzelnen Pflanzenarten rasch zu einer weiten Verbreitung in ihren primären Ursprungszentren (z.B. beim Weizen in Mesopotamien, beim Reis in Indien und Indochina, bei Mais und Kartoffel in Zentralamerika), und später über die ganze Welt.

      Der freie Austausch von Saatgut unter Bauern war die Grundlage für die Erhaltung und Entwicklung von Vielfalt und Ernährungssicherheit. Er beruht auf Zusammenarbeit und Wechselseitigkeit und dem Austausch unter Gleichen. Diese Freiheit geht weit über den reinen Austausch von Samen hinaus: Es geht auch um den freien Austausch von Ideen, Wissen, Kultur und Traditionen.

      Diesen Wissens- und Erfahrungsschatz haben unzählige Generationen von Bauern und Bäuerinnen durch Beobachtung im eigenen und in Nachbars Garten und Acker angehäuft. Die kulinarische, kulturelle und religiöse Bedeutung einer Pflanze, die Kenntnisse über ihre Widerstandskraft gegen Trockenheit, Krankheiten und Schädlinge, über ihre Pflege und Lagerungsfähigkeit und vieles mehr formen das gemeinschaftliche Wissen über Anbau und Nutzen bestimmter Kulturpflanzen.

      (…) Die Freiheit der Saat und die Freiheit der Bauern und Bäuerinnen werden durch neue Formen von Eigentumsrechten und neue Technologien bedroht. Saatgut droht von einem Gemeinschaftsgut der Bäuerinnen und Bauern in einen Rohstoff verwandelt zu werden, dessen Nutzen und Handel von einigen wenigen Konzernen monopolisiert wird. Das Aussterben unzähliger Kulturpflanzenarten und Sorten, bei gleichzeitiger Entwicklung von geschützten Hybridsorten und Züchtungen mit unfruchtbaren Samen („Terminatortechnologie“), gefährdet


Скачать книгу