Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise
ich kann es nicht lieben. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, es wegzumachen. Wenn ich mir vorstelle, es könnte ein kleiner Alex werden… egoistisch, rücksichtslos…« Unwillkürlich schüttelte sie sich. »Andererseits… es ist ja auch ein Teil von mir…«
»Das ist der Punkt, an den Sie immer denken sollten, Fräulein Walther«, entgegnete Dr. Daniel. »Ihr Kind trägt nicht nur Alex’ Erbanlagen in sich, sondern auch die Ihren – und vor allem das, was Sie mit Liebe aus ihm machen werden. Mutterliebe und Umwelteinflüsse formen einen Menschen zu dem, was er später einmal wird. Würde Ihr Kind bei Alex aufwachsen, würde ich mir um seine Zukunft wirklich Sorgen machen, aber dieses Kind wird bei Ihnen aufwachsen, und wenn Sie vergessen können, daß es von einem rücksichtslosen, egoistischen Menschen gezeugt worden ist, wenn Sie ihm mit viel Liebe begegnen, dann wird sich sein Charakter entsprechend entwickeln können.«
Lange lauschte Christina diesen Worten nach, dann brachte sie ein kaum sichtbares Lächeln zustande. »Vielleicht haben Sie recht.« Wieder berührte sie ihren Bauch. »Trotzdem kann ich mich noch nicht auf das Baby freuen.«
»Das ist unter diesen Umständen auch nicht ungewöhnlich«, erwiderte Dr. Daniel. »Sie sollen sich zu nichts zwingen. Ich möchte nur, daß Sie Ihrem Baby in Zukunft keinen Schaden mehr zufügen. Unternehmen Sie ab und zu einen Spaziergang in unserem Klinikpark. Die würzige Luft wird Ihnen und dem Baby guttun. Essen Sie regelmäßig, wenn auch nur kleine Portionen, und verzichten Sie auf Schlafmittel oder andere starke Medikamente. Wenn Sie Einschlafstörungen haben, dann gibt es andere, harmlosere Mittel dagegen. Ein Glas warme Milch mit Honig oder eine Tasse Ehrenpreistee zum Beispiel.« Er schwieg kurz, dann fügte er hinzu: »Im übrigen bin ich überzeugt, daß Ihre Schlafstörungen der Vergangenheit angehören werden, wenn Sie erst mal Ihre Probleme gelöst haben – so oder so.«
Christina seufzte tief auf. »Das ist leichter gesagt als getan.«
»Das weiß ich«, meinte Dr. Daniel ernst. »Aber es ist mit Sicherheit keine Lösung, vor den Schwierigkeiten davonzulaufen. Irgendwann müssen Sie sich dem Leben wieder stellen, und Sie können sicher sein, daß ich Ihnen helfen werde, soweit es in meiner Macht steht.«
»Danke, Herr Doktor«, flüsterte Christina ergriffen und blickte ihm versonnen nach, als er das Zimmer verließ.
Sich dem Leben wieder stellen… die Probleme lösen…
Entschlossen griff Christina nach dem Telefonhörer, überlegte kurz und wählte dann die Nummer ihrer Freundin Tamara.
»Christina!« stieß diese hervor. »Du lebst ja noch! Meine Güte, ich habe mir schon solche Sorgen gemacht.«
»Nicht ganz grundlos«, meinte Christina. »Ich bin in der Waldsee-Klinik.«
Tamara erschrak. »Ein Unfall?«
»Nein, ich… ich bin schwanger«, gestand Christina.
Sekundenlang herrschte darauf Schweigen.
»Ach, herrje«, brachte Tamara dann hervor »Ich nehme nicht an, daß das Kind von Rudi ist.«
»Tamara, was soll ich tun?« fragte Christina fast tonlos.
»Rudi ist in keiner guten Verfassung«, entgegnete Tamara, was keine Antwort auf Christinas Frage war. »Er ist beinahe krank vor Sehnsucht nach dir.« Sie machte eine Pause. »Wir haben uns in den vergangenen Wochen oft gesehen, und ich will ehrlich sein, Christina – ich hätte es ihm nicht schwergemacht.«
Christina schluckte. Der Gedanke, Tamara und Rudi könnten inzwischen ein Paar sein, tat ihr fast körperlich weh, und spätestens in diesem Moment wurde sie sich der tiefen Liebe bewußt, die sie noch immer für Rudi fühlte. Wie hatte sie nur so verrückt und verblendet sein können, das feste Band, das zwischen Rudi und ihr bestanden hatte, zu zerschneiden und sich auf das Abenteuer mit Alex einzulassen. Alex hatte sie fasziniert, er hatte ihr den Kopf verdreht, aber war das wirklich Liebe gewesen? Rudi war doch der Mann, der in ihrem Herzen war.
»Rudi und du… ich meine…« Christina verstummte, doch Tamara wußte genau, was sie fragten wollte.
»Ich sagte doch, ich hätte es ihm nicht schwergemacht, aber Rudi… er liebt nur dich.«
Wieder ließ Christina diese Worte in sich nachklingen, und für einen Augenblick begann ihr Herz rascher zu klopfen, doch dann zwang sie sich in die graue Wirklichkeit zurück. Sie erwartete ein Baby – von Alex. So groß könnte auch Rudis Liebe niemals sein, daß er ihr das verzeihen würde.
»Das ist vorbei«, flüsterte sie traurig. »Ohne meine Schwangerschaft gäbe es vielleicht einen zweiten Anfang… aber so…« Kraftlos ließ sie den Hörer sinken, dann brach sich ihr ganzer Kummer in eine schier endlosen Tränenstrom Bahn. Christina hatte das Gefühl, als müsse sie zerfließen… als würde ihr ganzes Leben mit den Tränen fortgeschwemmt…
»Rudi«, schluchzte sie verzweifelt. »Rudi…«
*
Als Diana Wieland merkte, daß sie schwanger war, wußte sie nicht recht, ob sie sich nun darüber freuen sollte. Die Liebe zu Alex hatte sie leichtsinnig sein lassen, und nun war es passiert. Sie erwartete ein Baby. Eigentlich wäre das ja kein großes Problem gewesen, da sie und Alex ohnehin in Kürze heiraten wollten, aber andererseits stand Sissi Alex auch nach fast vier Wochen noch genauso feindselig gegenüber wie am Anfang.
Dabei benahm sich Alex ganz reizend zu ihr. Erst kürzlich hatte er Sissis langgehegten Wunsch erfüllt und ihr eine sündhaft teure Babypuppe mitgebracht, die lachen, weinen und aufs Töpfchen gehen konnte. Diana wußte nicht mehr, wie oft Sissi vor dem Schaufenster des Spielwarengeschäftes gestanden und diese Puppe mit sehnsuchtsvollem Blick angeschaut hatte, doch jetzt lag sie in der hintersten Ecke ihres Kinderzimmers, und Sissi hatte noch nicht ein einziges Mal mit ihr gespielt.
Diana konnte ihr Töchterchen nicht verstehen, und das schockierte sie um so mehr, weil ihr das noch nie zuvor passiert war. Mit einem tiefen Seufzer bestieg Diana ihren Wagen und fuhr zur Praxis von Dr. Daniel. Im Grunde bedurfte es zwar keiner Bestätigung für ihre Schwangerschaft, aber sie war gewissenhaft genug, um diesen Termin einzuhalten.
»Frau Wieland, das ist aber eine Überraschung«, meinte Dr. Daniel, während er mit besonderer Herzlichkeit ihre Hand ergriff. Der Mut und die Tapferkeit, die Diana nach dem tragischen Tod ihres Mannes bewiesen hatte, hatten seinen ganzen Respekt hervorgerufen. »Sie waren doch erst vor gut zwei Monaten zur Routineuntersuchung bei mir.« Sein Gesichtsausdruck wurde ernst. »Sie haben doch hoffentlich keine Beschwerden?«
Diana schüttelte den Kopf und lächelte ein wenig. »Nein, Herr Doktor, jedenfalls keine Beschwerden, die auf eine Krankheit hindeuten würden. Ich glaube, ich erwarte ein Baby… das heißt, ich bin mir eigentlich ganz sicher.«
Aufmerksam musterte Dr. Daniel sie. »Aber sehr erfreut scheinen Sie darüber nicht zu sein.« Nebenbei deutete er mit einer einladenden Handbewegung auf einen der beiden Sessel, die seinem Schreibtisch gegenüberstanden.
Mit einem leisen Seufzer nahm Diana Platz und strich dann ihr langes blondes Haar zurück.
»Normalerweise würde ich mich schon freuen, denn Alex und ich sind uns einig, daß wir heiraten wollen«, begann Diana, dann blickte sie auf ihre im Schoß verschränkten Hände. »Es ist nur… Sissi… sie steht Alex sehr… sehr ablehnend gegenüber.«
»Das ist in einem solchen Fall nicht ungewöhnlich«, entgegnete Dr. Daniel und wunderte sich insgeheim, daß man in Steinhausen nichts von Dianas Heiratsabsichten mitbekommen hatte. Durch das Unternehmen, das sie von ihrem Mann geerbt hatte, und durch den damit verbundenen Reichtum gehörte sie in dem verhältnismäßig kleinen Ort zur Prominenz, und gerade den Klatschtanten Steinhausens entging so etwas eigentlich nie.
»Sissi hatte Sie immer ganz für sich allein«, fuhr Dr. Daniel fort. »Es ist einen große Umstellung für die Kleine, wenn sie Sie plötzlich mit jemandem teilen muß. Im übrigen haben Kinder ein sehr gutes Gespür für die Liebe. Sissi weiß also sicher, wie tief das Gefühl ist, das Sie und Ihren zukünftigen Mann verbindet.«
Diana