Dr. Daniel Staffel 7 – Arztroman. Marie Francoise
Alex leiden mußte«, wandte sie trotzdem ein.
»Das glaube ich Ihnen gern«, stimmte Dr. Daniel sofort zu. »Es geht in diesem Fall auch gar nicht darum, was sich zwischen Ihnen und Sissi jetzt tatsächlich ereignet, sondern darum, wie sie dieses neue Verhältnis interpretiert. Sicher schenken Sie ihr Ihre Liebe im gleichen Maße wie zuvor, aber Sissi ist vermutlich dennoch davon überzeugt, jetzt weniger geliebt zu werden.«
Diana seufzte wieder. »Das heißt, daß ich auf Alex verzichten muß, wenn ich Sissi nicht unglücklich machen will.«
Das war nun schon das vierte Mal, daß sie den Namen Alex erwähnte, und jedesmal hatte er in Dr. Daniel eine ungute Erinnerung anklingen lassen, doch er hatte sie nicht konkret greifen können. Erst jetzt fiel ihm ein, wo er diesen Namen schon einmal gehört hatte. Christina Walther erwartete doch von einem gewissen Alex ein Baby. Konnte das in einem kleinen Ort wie Steinhausen ein Zufall sein? Andererseits war Diana Wieland nicht die Frau, die einen Mann heiraten würde, dessen Vergangenheit oder gar Gegenwart dermaßen bedenklich erschien.
»Ich glaube nicht, daß Sie auf Ihr Glück ganz verzichten müssen«, erwiderte Dr. Daniel jetzt. »Sie sollten Sissi nur viel Zeit lassen, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Schenken Sie ihr gerade jetzt besonders viel Liebe und Zärtlichkeit. Sie muß spüren, daß sich durch Ihre Beziehung zu diesem Mann nichts an Ihrer Liebe zu ihr ändern wird. Auch Ihr Partner sollte versuchen, Sissi behutsam näherzukommen.«
»Alex ist ganz reizend zu Sissi«, betonte Diana sofort »Bei jedem Besuch bringt er ihr etwas mit, vor einigen Wochen sogar eine Puppe, sie sich Sissi sehnlichst gewünscht hatte, doch jetzt schaut sie sie überhaupt nicht an.«
Auch das war für Dr. Daniel nicht schwer nachzuvollziehen.
»Man kann sich die Liebe eines Kindes nicht mit Geschenken erkaufen«, entgegnete er ernst. »Ihr Partner muß Sissi nicht jedesmal etwas mitbringen, um von ihr akzeptiert zu werden. Vielmehr sollte er versuchen, auf die Kleine einzugehen. Vielleicht machen Sie beide gemeinsam mit ihr einmal ein Gesellschaftsspiel. Ich bin sicher, daß Sissi altersgerechte Spiele hat, mit deren Hilfe eine lockere Atmosphäre entstehen könnte. Auch ein gemeinsamer Zoobesuch könnte die Situation positiv beeinflussen, vielleicht genügt sogar ein Nachmittag auf dem Spielplatz. Sissi hatte nie einen Vater, weiß aber sicher von Freundinnen, wie toll es ist, mit dem Papa einen Drachen zu basteln oder mal ganz wilde Spiele zu machen. Da könnte Ihr Partner ebenfalls ansetzen. Er könnte Sisi spielerisch vermitteln, wie schön es für sie wäre, auch einen Papa zu haben.«
Diana dachte lange über diese Worte nach. So, wie Dr. Daniel das sagte, klang es ganz einleuchtend. Allerdings fiel es Diana
irgendwie schwer, sich Alex
beim Drachenbasteln vorzustellen. Unwillkürlich drängte sich ihr der Vergleich mit Michael auf. Wie sehr hatte er sich damals auf sein Baby gefreut, und er war auch der Typ gewesen, der viel mit seinem Kind unternommen hätte. Alex schien für eine solche Vaterrolle dagegen nicht geschaffen zu sein.
Rasch schüttelte Diana diese Gedanken ab. Sie liebte Alex, und deshalb wollte sie glauben, daß sich alles zum Guten wenden würde. Alex war doch so nett zu Sissi. Er würde sicher einen guten Vater abgeben. Das versuchte sich Diana jedenfalls einzureden. Tief in ihrem Innern war sie allerdings nicht sehr überzeugt davon.
*
Als Christina Walther aus der Waldsee-Klinik entlassen wurde, konnte ein guter Beobachter schon ihr kleines Bäuchlein ausmachen. Christina bemühte sich auch gar nicht mehr, es zu verstecken. Sie hatte die Tatsache, daß sie ein Baby erwartete, akzeptiert, wenn sie sich auch noch immer nicht darüber freuen konnte.
»Fräulein Walther, jetzt nach Ihrer Entlassung aus der Klinik stehe ich Ihnen natürlich auch weiterhin jederzeit zur Verfügung«, betonte Dr. Daniel, als er ihren deprimierten Gesichtsausdruck erkannte. »Gleichgültig, worum es geht – Sie können zu mir kommen, wann immer Ihnen danach zumute ist… auch außerhalb der Sprechzeiten.«
Da brachte Christina sogar ein Lächeln zustande. »Vielen Dank, Herr Doktor. Wenn Sie nicht wären…« Sie beendete den Satz nicht, aber Dr. Daniel wußte auch so, was sie hatte sagen wollen. Er hatte diese Worte nun schon so oft gehört… von vielen Patientinnen, die in körperlichen oder seelischen Nöten gesteckt hatten und denen er seine Hilfe auf ähnliche Weise angeboten hatte. Dabei wünschte er immer, er könnte viel mehr tun – auch in diesem Fall. Christina war so furchtbar unglücklich, und sie bereute ihren Fehler so sehr, doch nicht alles im Leben ließ sich rückgängig machen.
Ähnliche Gedanken verfolgten auch Christina, als sie den Weg nach Hause einschlug. Steinhausen war ein hübscher Vorgebirgsort. Die schmalen, gewundenen Gassen erinnerten Christina an so manchen Spaziergang, den sie früher mit Rudi unternommen hatte… an verstohlene Küsse, die sie am Anfang ihrer Beziehung getauscht hatten. Damals waren sie beide noch so schrecklich jung gewesen, und die Eltern hatten ihre Liebe nicht erfahren sollen. Doch mit den Jahren hatte sich ihre Freundschaft gefestigt, sie hatten von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen und sich gegenseitig den Eltern vorgestellt. Alles war so harmonisch verlaufen.
»Bis ich dann durchgedreht bin«, murmelte Christina traurig vor sich hin.
»Du mußt wissen, was du tust«, hatte ihre Mutter nur gesagt, als sie vom Ende ihrer Beziehung zu Rudi erzählt hatte. Christina hatte ihre Mißbilligung deutlich bemerkt, aber nicht einsehen wollen, daß ihre Mutter ganz recht hatte. Erst jetzt wußte sie, was sie wirklich aufgegeben hatte. Sie hatte ein glückliches Leben verschenkt… für ein paar selige Stunden mit einem Casanova, der sich den Teufel um ihre Gefühle scherte.
»Chrissie.«
Beim Klang des vertrauten Kosenamens zuckte Christina förmlich zusammen. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, daß sie gar nicht bemerkt hatte, wohin sie ihre Schritte gelenkt hatten. Keine hundert Meter vor ihr stand das Haus, in dem Rudi wohnte, und er stand ihr nun direkt gegenüber.
»Rudi.«
Christinas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, dann blickte sie beschämt zu Boden.
»Ich… ich wollte gar nicht hierherkommen«, behauptete sie, dabei war es doch ihre Sehnsucht gewesen, die sie getrieben hatte.
Allerdings fühlte auch Rudi das schier unwiderstehliche Bedürfnis, Christina zu berühren. Erst jetzt, da er ihr gegenüberstand, wußte er, wie schrecklich er sie vermißt hatte.
In diesem Moment fiel sein Blick auf Christinas Bauch, der sich unter dem Kleid ein wenig wölbte. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
»Chris… Christina, du… du erwartest ein Baby?«
Schmerzlich wurde ihr bewußt, daß er bei ihrem Kosenamen gestockt und dann statt dessen ihren vollen Vornamen ausgesprochen hatte.
»Rudi, ich… ich kann es dir nicht erklären… es ist…«
Abwehrend hob er die Hand. »Eine Erklärung ist auch gar nicht nötig. Zwischen uns ist es aus, also bist du mir gegenüber zu nichts verpflichtet.« Dabei konnte er den Schmerz, den er bei seinen eigenen Worten empfand, kaum noch ertragen.
Auch Christina stiegen nun Tränen in die Augen. Sie sehnte sich danach, von Rudi in die Arme genommen zu werden, und wußte doch, daß er das niemals mehr tun würde.
»Ich hoffe, du wirst glücklich… mit ihm«, fügte er leise hinzu.
Christina preßte die Lippen zusammen, um nicht aufzuschreien vor lauter Qual. Sie nickte nur, quälte ein kaum hörbares »danke« hervor und eilte dann so schnell weiter, daß es einer Flucht gleichkam.
Mit brennenden Augen blickte Rudi ihr nach. Als Christina auf das Haus zugekommen war, in dem er wohnte, hatte er einen Augenblick lang gedacht, alles würde wieder in Ordnung kommen, doch jetzt… jetzt war ihm, als hätte er Christina zum zweiten Mal verloren – und diesmal endgültig.
*
»Warum hast du es ihm nicht gesagt?« fragte Tamara, als Christina ihr unter Tränen von der Begegnung mit Rudi erzählt hatte.
Christina