Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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gewundert, wie du es so lange in dem Ding aushältst. In Gedanken sah ich dich schon zu einer Pfütze zerschmelzen“, sagte sie mit schief gelegtem Kopf.

      Ich antwortete nicht, starrte nur finster auf die Tischplatte. Scheiße, scheiße, was für ein Scheißtag!

      Ein Kellner, ein anderer als zuvor, brachte unsere Getränke, Edda bedankte sich für uns beide, ich trommelte eine nervöse Melodie auf der Tischplatte, kratzte mich an der Stirn und nahm einen großen Schluck von dem kühlen Wasser.

      „Okay, was ist los?“, fragte Edda schließlich einfühlsam. „Du bist ja geladen wie ein Schießgewehr.“ Sie klang nicht neugierig oder sensationslüstern, sondern einfach nur ehrlich interessiert. „Hast du ein Problem, Chris?“ Sie hatte einen versöhnlichen Tonfall angeschlagen, nun legte sie auch noch ihre Hand auf meine. Unser Streit von eben schien vergessen zu sein. „Rede doch mit mir!“

      Genervt zog ich meine Hand weg. „Hör auf, mit dieser Psychologenstimme zu reden, das macht mich wahnsinnig.“ Ich stürzte etwa die Hälfte meines Wassers in einem Zug hinunter, ein kleiner Sturzbach rann mir übers Kinn. Mit dem Handrücken wischte ich ihn weg. „Gerade eben noch fandest du mich total scheiße und auf einmal soll ich mit dir über meine Probleme quatschen, als wären wir alte Freunde? Stimmt noch alles bei dir? Bist du schizophren oder was?“

      Sie blinzelte, verdutzt über meinen Ausbruch. Die anderen Leute reckten die Hälse, gafften uns an, als wären wir die Attraktion im Zirkus. Da ich deutsch gesprochen hatte, hatten sie vermutlich nicht verstanden, was ich gesagt hatte. Dennoch ging sie das hier überhaupt nichts an.

      „Was glotzt ihr denn alle so?“, rief ich wütend auf Spanisch. „Habt ihr kein eignes Leben? Kümmert euch gefälligst um euren eigenen Dreck!“

      Entrüstetes Raunen wurde laut, einige zogen beschämt die Köpfe ein, andere drohten mir mit den Fäusten. Mir war alles egal, ich war genau in der richtigen Stimmung für eine Schlägerei.

      „Chris, bitte, wir fliegen noch raus hier“, zischte Edda leicht panisch. „Die Leute sehen aus, als würden sie uns gleich mit ihren Tapas bewerfen. Kannst du dich bitte beruhigen und mir einfach sagen, was los ist? So schlimm kann es doch nicht sein.“

      „Hast du eine Ahnung“, fuhr ich sie an, senkte aber meine Stimme und leerte mein Glas in einem Zug. „Wenn ich das Casting übermorgen versaue, verliere ich wahrscheinlich meinen Vertrag und bin arbeitslos. Marvin reißt mir den Kopf ab, wenn ich kein Geld mehr verdiene, er schmeißt mich raus und ich sitz auf der Straße.“

      Keine Ahnung, wo das jetzt herkam, aber so empfand ich im Moment. Ich war total panisch und stellte mir ein Leben unter der Brücke vor ‒ genau da hatte ich nie enden wollen. Genau da hatte mein Vater mich sehen wollen, als er mich vor einem Jahr rausschmiss. Ich konnte ihm diese Bestätigung nicht geben, er durfte nicht recht behalten mit dem, was er gesagt hatte.

      „Mein Alter würde sich vor Freude nicht wieder einkriegen, wenn sich herausstellt, dass er recht gehabt hat“, brummte ich bitter.

      „Recht womit?“, hakte Edda nach und beugte sich über den Tisch hinweg zu mir. Sie wollte einfach nicht lockerlassen.

      Ich sah sie direkt an, ohne mich diesmal von der Farbe ihrer Augen verwirren zu lassen. „Damit, dass ich ein Versager bin, ein Nichts, ein Niemand, ein Schmarotzer, den andere Leute durchbringen müssen. Einer, der es in seinem Leben nie zu etwas bringen wird.“ Ich starrte auf meine geballten Fäuste und biss mir so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte.

      Ich hatte noch nie jemandem erzählt, wie mein Vater mit mir umgegangen war, nur Marvin wusste davon. Dass er mich auch verbal jahrelang runtergemacht hatte, wusste keiner. Und ich hatte nicht vorgehabt, es je irgendwem zu erzählen. Keine Lust, von den Leuten mitleidig angesehen zu werden, weil mein Vater ein Arsch war.

      „Chris, das ist doch Schwachsinn“, versuchte Edda mich zu besänftigen. „Du bist kein Versager! Denk doch nur, was du schon alles erreicht hast. Überall in Deutschland hängen Werbeplakate von dir. Du wurdest in Werbespots im Fernsehen gezeigt. Ist das denn nichts wert?“

      Ich schnaubte und seufzte gequält. „Das mit den Werbespots und den Plakaten war nur Glück. Die Frau, die mich damals entdeckt hat, war scharf auf mich, nur deshalb hab ich diese Chance überhaupt bekommen. Und jetzt bin ich dabei, es richtig zu vermasseln. Mein Sexappeal hat mich hierher gebracht und nun lässt mein Gehirn mich im Stich.“

      Wir wurden kurz unterbrochen, als ein Korb mit aufgeschnittenem, herrlich duftendem Brot vor uns auf den Tisch gestellt wurde, dazu bekam jeder von uns ein Schälchen Olivenöl. Mein Magen knurrte, ich merkte erst jetzt, wie hungrig ich war. Kein Wunder, ich hatte heute schließlich noch nichts gegessen.

      Edda nahm sich eine dünne Brotscheibe, tunkte sie ins Öl und nahm einen großen Bissen. Genüsslich verspeiste sie das Häppchen. „Schmeckt großartig, das Brot, probier doch mal. Vielleicht hebt das deine Laune.“ Sie zwinkerte mir zu. „Und dann kommst du mal wieder runter, das ist doch Bullshit, was du da erzählst, Chris. Ja, gut, du bist nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber du bist nicht blöd.“

      „Na, herzlichen Dank auch“, schnaubte ich sarkastisch, nahm mir ebenfalls eine Brotscheibe, tauchte sie in das fettige Öl und schlang sie in Rekordzeit hinunter. Schmeckte köstlich, ich griff gleich nach der nächsten.

      Edda zerkrümelte ihre zweite Scheibe zwischen den Fingern. „Gestern hast du mir noch erzählt, man könnte alles lernen, und heute willst du aufgeben, nur weil du bei den letzten Castings nicht die Nummer eins warst? Du lieber Himmel, Chris. Ich weiß ja, dass du es normalerweise gewohnt bist, immer zu gewinnen, und dass es vermutlich an deinem übergroßen Ego nagt, wenn mal nicht alle hin und weg von dir sind. Aber, und es tut mir leid, wenn ich dir jetzt deine Illusionen raube, das Leben ist kein Ponyhof. Man bekommt nicht immer das, was man sich vorstellt. Manchmal muss man ... da muss man kämpfen, wenn man was haben will. Es fällt einem im Leben nicht immer alles in den Schoß, Chris, so einfach ist das nicht. Andere Leute kämpfen pausenlos, verlieren, liegen im Dreck und stehen wieder auf. Das ist übrigens eine Metapher“, klärte sie mich auf, als wäre ich völlig blöd.

      „Ich weiß“, fuhr ich sie an. „Denkst du, ich bin bescheuert oder was? Dann kannst du dich gleich mit meinem Agenten zusammentun, der behandelt mich auch, als wäre ich ein Vollidiot, der nichts auf die Reihe kriegt. Dabei reiß ich mir den Arsch auf, ich tue alles, damit diese bescheuerten Schnepfen von den Modemagazinen mich gut finden, und was kriege ich zum Dank? Einen Anpfiff.“ Vor Wut verschluckte ich mich an meinem Brot und musste würgen. Ich war auf 180, diese unterschwellige Aggression schwappte in Wellen über mich hinweg und es war schwer, mich zu beruhigen.

      „Chris“, Edda sprach mit sanfter Stimme, als müsste sie einen wilden Stier beschwichtigen, „ich weiß doch, dass du nicht dumm bist. Seit wann bist du denn so ein Sensibelchen?“ Ich knurrte, sie verdrehte die Augen. „Okay, du bist sauer auf deinen Agenten, weil er dich kritisiert hat, und offenbar auch auf mich, weil ich nicht das Richtige sage. Dabei möchte ich dir doch nur klarmachen, dass ich nicht glaube, dass du deinen Job oder deinen Agenten verlierst, nur weil du diesen einen Auftrag nicht bekommen hast.“

      „Bisher waren es drei Aufträge“, korrigierte ich sie finster, „und den vierten übermorgen werde ich auch nicht bekommen, weil ich nämlich, wie du gestern herausgefunden hast, weder windsurfen noch segeln kann.“

      Der Rotschopf ließ sich davon nicht beirren. „Ich glaube, dass es deinem Agenten um was ganz anderes geht. Ich glaube, er möchte einfach, dass du dich anstrengst und mal ein bisschen Einsatz zeigst, anstatt wie Mr Cool herumzuhängen und deinen Charme auf Frauen zu versprühen, die schon so lange in dieser Branche tätig sind, dass sie sofort erkennen, was für ein Blender du bist. Was dein Agent will ist, dass du ihm beweist, wie sehr du es willst, wie sehr du diese Karriere als Model anstrebst. Du bist sicher nicht schlecht, sonst hätte er dich nicht unter Vertrag genommen und dein Konterfei würde nicht sämtliche Jungs in deutschen Städten aufregen.“ Bei dieser Bemerkung wurde sie etwas rot. „Aber es wird Zeit, dass du auf den Teppich kommst, Chris. Da wird es dir nicht gefallen, es ist nämlich keinesfalls


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