Seit ich dich kenne .... Jascha Alena Nell

Seit ich dich kenne ... - Jascha Alena Nell


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Charme spielen lassen. Vor dem war keiner gefeit. Irgendwie würde ich das hinkriegen, zur Not musste ich einfach improvisieren. Sämtliche Versagensängste des Nachmittags waren wie weggeblasen, ich fühlte mich jung, wild und unbezwingbar.

      Nachdem ich für mich und auch für Edda die Surfstunde bezahlt hatte, gingen wir noch eine Runde schwimmen.

      Es war fast Mitternacht, als wir beschlossen, dass es nun genug war. Ich fühlte mich erholt, zufrieden und übermütig und Edda schien es ähnlich zu gehen. Verwegen grinsend strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr und rückte den tiefen Ausschnitt ihres Kleides zurecht. „War ein schöner Tag heute“, meinte sie und ich konnte nur zustimmen.

      „Ja, war es. Nur schade, dass wir uns am Anfang immer streiten müssen“, merkte ich grinsend an. „Aber wer weiß, vielleicht brauchen wir einfach was, das die Gemüter so richtig aufheizt, bevor wir locker zusammen abhängen können.“

      „Ja“, sie nickte, „vielleicht.“

      Wir wussten nicht genau, wie wir uns voneinander verabschieden sollten. Außerdem war ich mir unsicher, ob ich nach ihrer Handynummer fragen sollte oder eher nicht. Wollte sie mich denn wiedersehen? Wollte ich sie wiedersehen? Oder sollten wir es bei diesem einen schönen Tag belassen? Ich hatte Spaß gehabt, sie war ein cooles Mädchen, aber ...

      Nein. Kein Aber. Ich wollte sie wiedersehen, so viel stand fest. Ich spürte deutlich, dass es ein Fehler wäre, wenn ich zuließe, dass wir uns aus den Augen verloren.

      „Sag mal ...“ Ich scharrte verlegen mit dem Fuß im Sand herum, obwohl ich sonst absolut kein Problem damit hatte, mir die Handynummer eines Mädchens zu besorgen, war ich jetzt richtig nervös. Was, wenn sie Nein sagte? Würde mir das was ausmachen? Scheiße, ja, das würde es. „Sag mal, gibst du mir deine Handynummer oder sollen wir abwarten, ob das Schicksal uns noch mal zusammenführt?“

      In meinem Kopf hatte das wie ein cooler, flotter Spruch geklungen, der mir leicht über die Lippen kam, doch ausgesprochen klang er irgendwie kitschig und ging in eine romantische Richtung, in die ich gar nicht wollte.

      Edda kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum, rieb sich die Stirn und sah mich dann entschlossen an. „Ich gebe dir meine Handynummer. Und du mir deine, ja? Und wenn das Schicksal es gut mit uns meint, werden wir uns sowieso wiedersehen, ob verabredet oder nicht.“ Kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, errötete sie. Ha! Sie fand mich toll. Sie wollte mich wiedersehen.

      Grinsend zückte ich mein Handy und streckte die Hand nach ihrem aus. Sie reichte es mir zögernd. Ich speicherte meine Nummer in ihrem Telefon ein und sie ihre in meinem Gerät. Kaum hatte ich das erledigt, summte ihr Handy leise in meiner Hand und das Symbol für SMS leuchtete auf. Neue Nachricht.

      „Hier, ’ne SMS für dich“, meinte ich, „bestimmt von deinem Lover. Er muss irgendwie gespürt haben, dass ich mit dir abhänge.“

      „Erzähl keinen Blödsinn.“ Schnell schnappte sie mir das Handy weg und steckte es, ohne die SMS eines Blickes zu würdigen, in ihre Tasche. Dann holte sie tief Luft, trat dicht an mich heran und umarmte mich. Ich konnte ihre Rippen spüren, ihre hervorstehenden Knochen. Gott, das Mädel musste dringend zulegen. „Nacht, Chris. Danke für den tollen Tag.“ Sie trat zurück, lächelte verlegen. „Es hat Spaß gemacht. Mehr als erwartet.“

      Ich grinste. „Mit mir hat man immer Spaß, Rotschopf. Darauf kannst du dich verlassen.“

      Sie blinzelte. „Na dann. Vielleicht sehen wir uns ja die Woche noch.“

      „Ja, vielleicht“, sagte ich unbestimmt und hoffte doch, dass wir uns recht bald wiedertrafen.

      „Sag mir Bescheid, wie das Casting gelaufen ist. Du Supersurfer.“ Sie lächelte freundlich, ich grinste gequält.

      „Ja. Ich hoffe, die blauen Flecken verheilen bis übermorgen. Wasser ist ziemlich hart.“ Edda nickte, dann gähnte sie. Es wurde Zeit fürs Bett. Wir bewegten uns langsam in unterschiedliche Richtungen.

      Ich hob die Hand und winkte. „Nacht, Rotschopf. Bis dann.“

      „Nacht, Waldoff. Man sieht sich.“

      ***

      Edda: „Und, wie ist Bayreuth?“ Ich klemmte mir den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter, während ich mir die Schnürsenkel zuband.

      „Ganz nett so weit. Ich war noch nicht so viel draußen unterwegs, weißt du. WG, Supermarkt,

      Uni ... das ist so meine Route tagein, tagaus“, antwortete Kim.

      Verwundert hakte ich nach: „Keine Studentenpartys?“

      „Doch, aber die meisten finden bei uns statt. Meine Mitbewohner sind ein recht feierwütiges Völkchen, weißt du. Vor allem Mike, unser Schwuler, geht ab wie Schnitzel. Übrigens, ich hab einen neuen Freund.“

      Fast fiel mir der Hörer runter, im letzten Moment konnte ich ihn noch greifen. „Echt? Ist ja Wahnsinn. Wer denn? Wie denn? So schnell ... ich meine, du bist doch erst acht Wochen da.“

      „Tja“, ich hörte das Lächeln in ihrer Stimme, „war quasi Liebe auf den ersten Blick. Gesehen, verliebt, zusammen. Einer aus meiner Uni, er heißt Leon und ist so was von scharf, das glaubst du nicht. Ich schreib dir mal ’ne E-Mail und füge ein Foto von ihm als Anhang hinzu, ja?“

      „Tu das“, erwiderte ich. „Ich kann’s kaum erwarten. Und was hast du an diesem Abend noch so vor?“

      „Es ist Freitag, also ist die Antwort ja wohl klar: Party! Leon kommt in einer halben Stunde vorbei und bringt ein paar seiner Kumpel mit. Annika und Vivien sind noch beim Shoppen, aber die wollten auch ein paar Mädels und Typen aus ihren Kursen mitbringen und Mike hat wahrscheinlich die halbe Studentenvereinigung zu uns nach Hause eingeladen, wir können nur hoffen, dass das keinen Ärger mit dem Vermieter gibt.“ Sie seufzte gespielt sorgenvoll, doch an ihrem Tonfall und der Art, wie sie erzählte, hörte ich deutlich heraus, dass sie rundum glücklich war mit ihrem Leben. Das freute mich für sie.

      Ich vermisste sie wahnsinnig, seit sie fort war. Als ich vor knapp zwei Monaten aus Barcelona zurückgekommen war, war sie so gut wie auf dem Sprung gewesen. Ich hatte ihr dabei geholfen, die letzten Kisten zu packen, und hatte sie auf ein Abschiedseis in unserer Lieblingseisdiele eingeladen. Es war ein geradezu feierlicher, aber auch sehr trauriger Moment gewesen. Wir waren beide sentimental und melancholisch geworden und hatten uns heulend in den Armen gelegen ‒ eine Ära ging zu Ende. Vor uns lag das pure, reine Leben mit all seinen Herausforderungen und Überraschungen und wir blickten beide sowohl gespannt als auch angespannt in die Zukunft.

      Dann war Kim abgefahren, nach Bayreuth, und ich blieb zurück mit schwerem Herzen und einem tapferen Lächeln auf den Lippen.

      Wir telefonierten fast täglich, die Telefonrechnung würde horrend sein, aber ich musste unbedingt hören, wie es ihr ging und welche Abenteuer sie in der neuen Stadt erlebte.

      Bei mir hielten sich die Abenteuer in überschaubaren Grenzen, ich machte derzeit ein bezahltes Praktikum in einem Kindergarten, und obwohl ich Kinder liebte, gingen sie mir bald schon tierisch auf die Nerven. Aber ich hatte einfach nicht gewusst, was ich mit meinem Leben, meiner Zeit anfangen sollte, hatte daher im Internet nach einer Lösung gesucht und war schließlich auf eine Seite gestoßen, deren Betreiber Au-pair-Auslandsaufenthalte in Australien, Kanada, Neuseeland, Irland, England und Frankreich anbot. Ich hatte mich genauer informiert, eine E-Mail hingeschrieben und schließlich hatte ich mich dazu entschieden, im nächsten Jahr als Au-pair ins Ausland zu gehen. Ich hatte meine Bewerbung bereits abgeschickt. Es war eine richtig dicke Mappe geworden, unter anderem waren darin mein Abiturzeugnis und zwei Charakterzertifikate, eines erstellt von meinem ehemaligen Klassenlehrer Herrn Feist, der in den höchsten Tönen von mir schwärmte und mich mit den Adjektiven zuverlässig, hilfsbereit, engagiert und lebensfroh ausgezeichnet hatte, das andere stammte von unserer Nachbarin Frau Heider, deren Jungs ich früher gebabysittet hatte. Auch sie bewertete mich ausgezeichnet. Die 200 Stunden praktische Erfahrung in der Kinderbetreuung bekam ich durch das Jahr, das ich nun im Kindergarten


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