Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg
viel zu sagen hatten. Das war eine Feststellung, die für sie entsetzlich war. Hatte sie ihn wirklich verloren?
In diesem Augenblick war Linda fest entschlossen, um Tonio zu kämpfen. Dieser Entschluss stärkte ihren Mut. Sie fuhr noch am gleichen Nachmittag zu ihm.
Als sie aus ihrem Wagen stieg, erblickte sie ein rothaariges Mädchen mit langen hellgrünen Hosen und einem schwarzen langärmeligen Pullover, das das Haus vor ihr betrat. Hinter diesem Mädchen stieg sie die Treppe hinauf. Erst, als die andere ebenfalls vor der Tür von Tonios Wohnung stehenblieb, ahnte sie die Wahrheit.
Linda war nahe daran, einfach kehrtzumachen und fortzugehen. Aber dann überwand sie sich und ging weiter.
Lucy war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie Linda erst bemerkte, als sie neben ihr stand. Die beiden Frauen fixierten sich feindselig.
Tonio war ratlos, als er die Tür öffnete und beide vor sich sah. »Kommt nur herein in die gute Stube!«, rief er mit gespielter Fröhlichkeit. »Linda, das ist Lucy Snyder, eine alte Freundin von mir.«
Lucy lachte. »Tonio, ein Kavalier bist du nicht gerade. Ich bin noch nicht einmal ein Vierteljahrhundert alt.« Sie gab ihm ungeniert einen Kuss.
Tonio reagierte nicht darauf, sondern fuhr fort: »Lucy, und das ist Linda Hille. Sie ist schon lange mit mir befreundet.«
Linda war sehr viel schwerfälliger als Lucy und konnte sich auch kaum noch beherrschen. Ihr Lächeln wurde maskenhaft starr, als sie sich steif in einen Sessel setzte.
Lucy dagegen nahm auf der Couch Platz. Ungeniert zog sie ihre Schuhe aus und zog die Beine unter sich.
»Tonio hat mir schon von Ihnen erzählt. Rauchen Sie, Frau Hille?«, fragte sie und schob Linda das Zigarettenkästchen über den Tisch zu. Sie übernahm wie selbstverständlich die Rolle der Hausfrau und drängte Linda somit in die Rolle des Gastes.
Lindas Augen füllten sich mit heißen Tränen. »Was wird hier gespielt?«, fragte sie leise.
Lucy hatte plötzlich Mitleid mit Linda Hille. Eigentlich hatte sie sich diese Frau ganz anders vorgestellt. Viel kaltschnäuziger und selbstsicherer. Doch Linda Hille glich eher einem verschüchterten kleinen Mädchen, das hilflos zusah, wie ihm sein Lieblingsspielzeug kaputtgemacht wurde. Auch verstand sie nun viel besser, dass Peter Hille seine Frau trotz allem noch immer liebte. Dass sie litt, war offensichtlich.
Auch Tonio tat Lucy leid. Seine gekünstelte Fröhlichkeit war für sie der Beweis dafür, dass er noch immer keine Entscheidung getroffen hatte, obwohl er ihr beteuert hatte, dass er sie liebe.
»Vielleicht störe ich«, sagte Lucy leise und schlüpfte wieder in ihre Schuhe. »Tonio, ich komme lieber ein andermal wieder.«
»Nein, ich gehe.« Um Lindas Fassung war es nun endgültig geschehen. Sie sprang auf und lief davon.
Als die Tür laut zuknallte, zuckte Tonio mit den Achseln.
»Sie tut mir leid, Tonio. Sie ist viel besser, als ich dachte«, erklärte Lucy.
»Du sagst das so, als würdest du sie schon länger kennen.«
»Das tue ich auch. Jedenfalls vom Hörensagen.«
»Das verstehe ich nicht, Lucy.«
»Du verstehst vieles nicht. Aber ich will dir die Wahrheit sagen«, fügte sie entschlossen hinzu. »Ich habe das bestimmte Gefühl, dass es besser wäre, wenn wir alle unsere Karten offen auf den Tisch legen würden.«
»Du sprichst in Rätseln, Lucy.«
»Ich werde dir helfen, das Rätsel zu lösen.« Sie erzählte ihm nun, dass sie schon einmal hiergewesen war und die verzweifelte Nina auf der Treppe getroffen und sie heimgefahren hatte.
»Dann kennst du also die ganze Geschichte, du Biest«, erwiderte er mit einem kleinen Lächeln.
»Ja, Tonio. Und als ich Peter Hille kennenlernte und erkannte, wie sehr er seine Frau noch liebt, habe ich mich entschlossen, ihm und Nina zu helfen.«
»Helfen, indem du versuchtest, Linda und mich auseinanderzubringen. So ist es doch?«
»Ja, Tonio. Wäre ich Nina nicht begegnet, hätte ich Europa schon längst verlassen und wäre daheim bei meinen Eltern.«
»Liebst du mich eigentlich?« Er umfasste ihren Oberarm so fest, dass sie leise aufschrie. »Du Grobian, du tust mir ja weh.«
»Das will ich auch. Dann warst du also schon einigemale mit Peter beisammen.«
»Das war ich, und ich treffe mich heute Abend wieder mit ihm.«
»Also gefällt er dir?«, fragte er erregt.
»Er ist ein wundervoller Mensch.«
»Ein Mann zum Verlieben?«
»Ganz recht, mein lieber Tonio.« Seine offensichtliche Eifersucht erfüllte sie mit Genugtuung. Nur seinetwegen hatte sie in den letzten Tagen sehr gelitten. Deshalb tat es ihr gut, dass sie sich auf diese Weise an ihm rächen konnte.
»Und wenn ich dich bitte, dich nicht mehr mit Peter zu treffen?«
»Dann würde ich dir diese Bitte abschlagen. Am Samstag fahre ich mit ihm zu Nina, die momentan in einem Kinderheim untergebracht ist.«
»Bitte, Lucy, tu es nicht.«
»Ich verlange ja auch nicht von dir, mit Linda Schluss zu machen. Solange ich sie nicht persönlich kannte, habe ich sie anders beurteilt. Nun aber tut sie mir unendlich leid. Du hast dich in der ganzen Angelegenheit wie ein Schuft benommen.« Sie zündete sich eine Zigarette an. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Auch brannten ungeweinte Tränen unter ihren Lidern.
»Das habe ich, Lucy«, gab er zu.
Seine Offenheit überraschte sie immer wieder. Jeder andere Mann hätte in diesem Augenblick versucht sich reinzuwaschen. Aber Tonio tat das nicht. Wenn er zugab, etwas falsch gemacht zu haben, glich er einem liebenswerten Lausbub, dem man ganz einfach nicht böse sein konnte.
»Was wirst du nun tun, Tonio?«, fragte sie mit einem matten Lächeln. »Wir leben schließlich nicht im Orient, wo die Männer ungestraft mehrere Frauen haben dürfen.«
»Ich weiß es nicht, Lucy. Ich weiß es wirklich nicht.« Er setzte sich und vergrub sein Gesicht in den Händen.
Sinnend blickte sie auf sein dichtes schwarzes Haar. Dabei stellte sie nicht zum ersten Mal fest, dass er sehr schöne Hände hatte. Am liebsten hätte sie ihn zärtlich an sich gezogen und geküsst. Aber sie sagte sich, dass sie das nicht tun dürfe. Tonio musste endlich wissen, was er wollte. Bei seiner schwierigen Entscheidung wollte sie ihn in keiner Weise beeinflussen.
Lucy stand auf und nahm ihre Handtasche. »Tonio, ich gehe jetzt«, erklärte sie und blieb vor ihm stehen.
Er ließ die Hände sinken und sah sie unsicher an. Dann nickte er. »Ja, Lucy, es ist das Beste im Augenblick. Ich muss mich um Linda kümmern. Das bin ich ihr schuldig.«
»Ja, Tonio.« Plötzlich konnte sie nicht anders, als ihn noch einmal zu umarmen. Er hielt sie ganz fest, aber er küsste sie nicht. Ihre Blicke versanken ineinander. Dann riss sie sich von ihm los und verließ die Wohnung.
Leise war die Wohnungstür ins Schloss gefallen. Doch Tonio stand noch immer auf der gleichen Stelle, nachdem Lucy ihn verlassen hatte. Endlich raffte er sich auf und zog sich um. Kurz darauf verließ er das Haus und ging zu Linda, um sich mit ihr auszusprechen.
Linda öffnete ihm die Tür mit verweinten Augen. »Ach, du bist es«, sagte sie leise. »Das ist mit der Post gekommen«, fügte sie hinzu und reichte ihm ein Schreiben ihres Rechtsanwaltes. »Ende nächster Woche ist unser Scheidungstermin. Peter scheint es nicht erwarten zu können, mich loszuwerden.«
»Das glaube ich auch«, murmelte Tonio. Dabei dachte er an Lucy. Der Gedanke, dass Peter und sie vielleicht eines Tages heiraten würden, machte ihn wahnsinnig.
»Tonio, ich habe alles falsch gemacht. Ich hatte