Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia Vandenberg

Sophienlust Paket 3 – Familienroman - Patricia Vandenberg


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Herr Dr. Hille. Aber ich ahne nun, was Nina dazu bewogen hat, durchzubrennen.« Sie erzählte ihm und Lucy in knappen Sätzen, was Pünktchen ihr soeben berichtet hatte.

      »Mein dummes kleines Mädchen.« Peter war zutiefst erschüttert. »Aber wie werden wir sie finden?«, fragte er dann.

      Nick blickte sich um und deutete dann auf Barri, der vor dem Portal lag und sie alle beobachtete. »Barri ist ein kluger Hund. Vielleicht sollte man ihm einen Schuh von Nina geben?«

      »Oder einen Strumpf!«, rief Pünktchen.

      »Ja, oder einen Strumpf«, bestätigte Nick. »Dann nimmt er die Spur bestimmt auf.«

      »Wir können es ja mal versuchen«, meinte Lucy.

      »Gut, Pünktchen, hole einen Schuh oder einen getragenen, noch nicht gewaschenen Strumpf aus Ninas Zimmer«, bat Denise.

      Pünktchen nickte und flog förmlich die Treppe hinauf. Barri aber erhob sich zu seiner ganzen Größe und wedelte aufgeregt mit seiner buschigen Rute.

      Kurz darauf erschien Pünktchen wieder. »Ich habe einen ihrer Schuhe gebracht. Die Strümpfe sind alle schon gewaschen. Da, Barri, riech!«, rief sie und hielt dem Hund die Sandale hin.

      Barri beschnupperte sie und legte sich dann wieder hin.

      »Er versteht uns nicht«, erklärte Nick. Er nahm Pünktchen den Schuh fort und hielt ihn dem Hund wieder unter die Nase. »Barri, such Nina. Such!«, rief er.

      Diesmal reagierte Barri. Er trottete, die dicke Schnauze am Schuh, hinter Nick die Stufen der Freitreppe hinunter. Die Erwachsenen und die Kinder folgten den beiden voller Aufregung.

      Und dann bellte Barri einmal kurz und lief in den Park hinein, so schnell, dass ihm kaum einer folgen konnte. Nur Nick blieb ihm auf den Fersen. Pünktchen bemühte sich, dicht hinter ihm zu bleiben. Auch die anderen Kinder rannten, so schnell sie konnten, hinter Nick und Barri her.

      »Er hat Ninas Spur gefunden!«, rief Lucy erleichtert. »Nun werden wir sie bald gefunden haben.«

      »Hoffentlich.« Peter lächelte sie kurz an, um dann sofort wieder gespannt nach vorn zu blicken.

      Barri blieb am Waldsee stehen. Peter hielt den Atem an. »Mein Gott«, flüsterte er. »Ist der See tief?«

      »Ziemlich«, meinte Denise leise. »Aber Nina ist doch schon groß genug und weiß, dass der See tief ist.«

      »Tante Isi! Tante Isi!«, rief in diesem Augenblick Fabian. »Das Boot ist fort!« Er deutete auf den Steg, an dem sonst immer ein Ruderboot befestigt war. »Gestern war das Boot noch da. Nicht wahr, Nick, wir haben es gesehen, als wir am Nachmittag hier waren!«

      »Ja, Mutti, es war noch da. Fabian und ich haben festgestellt, dass es eine undichte Stelle hatte. Wir haben das auch gestern Abend gleich Justus gesagt. Er hat versprochen, sich das Boot anzusehen.«

      »Ja, er wollte das Leck dichtmachen«, bestätigte Fabian.

      Peter wurde immer nervöser. »Meint ihr, dass Nina das Boot genommen hat?«, fragte er erschüttert.

      »Wir wissen es nicht.« Nick wich seinem Blick aus. »Nina kann aber rudern. Sie rudert sogar sehr gern. In den Sommerferien bin ich oft mit ihr auf den See hinausgefahren.«

      »Ich sehe das Boot!«, rief Pünktchen. »Dort auf dem gegenüberliegenden Ufer liegt es halb auf dem Sand.«

      »Wir müssen mit Barri auf die andere Seite«, bestimmte Nick. »Nina ist bestimmt hinübergerudert. Drüben kann Barri dann wieder ihre Spur aufnehmen.«

      Schwester Regine bot an, nach Sophienlust zurückzulaufen, um ein Auto zu holen. Die anderen gingen am Seeufer weiter.

      *

      Linda wusste nicht, wie sie nach Hause gekommen war. Wie in Trance war sie die Straße entlanggegangen. Sie bemerkte nicht die Blicke der Leute, denen sie begegnete, die sie überholten. Sie hatte das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein.

      Als sie das Appartementhaus am Ende der Straße erreichte, riss sie sich zusammen. Mit dem Lift fuhr sie hinauf in die siebte Etage und schloss dann die Tür ihres Appartements auf. Als sie die kleine Diele betrat, liefen ihr heiße Tränen übers Gesicht. Nun erst konnte sie sich gehenlassen und sich nach Herzenslust ausweinen.

      Aber schnell versiegten ihre Tränen wieder. Eine seltsame Starre nahm von ihr Besitz. Sie trat auf den Balkon und blickte hinunter in die Tiefe. Die Menschen dort unten glichen emsigen Ameisen, die Autos waren nicht größer als Spielzeugautos.

      Linda beugte sich weiter über die Brüstung. Sie sah sich im Stillen hinunterstürzen, hörte ihren gellenden Schrei und dann einen harten Aufschlag. Dann war nichts mehr. Ihr Herz schlug wie verrückt, als sie entsetzt einen Schritt zurücktrat. Fast hätte sie den Mut aufgebracht, sich hinunterzustürzen. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Mit zitternden Knien kehrte sie in den Wohnraum zurück. Sie trat an die niedrige Truhe, auf der eine Fotografie von Nina in einem Holzrahmen stand. »Nein, mein Liebling, das werde ich dir nicht antun. Ich möchte, dass du mich in guter Erinnerung behältst. Es wäre furchtbar für dich, einmal zu erfahren, dass deine Mutter eine Selbstmörderin ist.« Sie küsste das Bild und stellte es auf seinen Platz zurück.

      Dann setzte sie sich auf die Couch und zündete sich eine Zigarette an. Jetzt erst überwand sie ein wenig den furchtbaren Schock. Ihre Gedanken begannen wieder zu arbeiten

      Ein brennender Schmerz breitete sich in ihrem Herzen aus, als sie daran dachte, dass sie nun mutterseelenallein dastand, dass es keinen Menschen mehr gab, der zu ihr gehörte, für den es sich lohnte zu leben. Aber warum sollte sie nicht versuchen, Peter dazu zu bringen, ihr Nina für einige Zeit im Jahr zu überlassen? Wenn er damit einverstanden war, konnte sie sich eine Arbeit suchen. Dann würde sie nur noch auf die Zeit mit Nina warten.

      Linda erhob sich und ging zum Telefon, das auf ihrem Nachttisch stand. Ihre Sehnsucht, Ninas liebe Stimme zu hören, wurde so übermächtig in ihr, dass sie wie in Trance die Telefonnummer der Villa in Sachsenhausen wählte.

      Wally meldete sich.

      »Wally, ich bin es.«

      »Sie, Frau Hille?«

      »Ja, Wally. Bitte, holen Sie doch Nina an den Apparat. Ich möchte sie sprechen. Ich weiß, dass mein Mann es nicht wünscht, aber ich möchte nur ein einziges Mal ihre Stimme hören.«

      »Tut mir leid, Frau Hille, das kann ich nicht.«

      »Wally, bitte …«

      »Es ist nicht, weil ich es nicht will. Aber Nina ist doch wieder in Sophienlust.«

      »Im Kinderheim?«

      »Ja, Frau Hille. Aber sie ist durchgebrannt. Ihr Mann ist zusammen mit Fräulein Snyder nach Sophienlust gefahren.«

      »Mit Lucy Snyder?«

      »Ja, Frau Hille. Der Herr Doktor hat mich gebeten, sofort dort anzurufen, wenn Nina inzwischen heimkommen sollte. Aber bisher ist sie nicht gekommen.«

      »Danke, Wally.« Linda legte auf. Nina war fortgelaufen. Das Kind befand sich vielleicht in Gefahr. Sollte Nina etwas zustoßen, war das nur ihre Schuld, ganz allein ihre Schuld. Sie war eine pflichtvergessene Mutter, hatte ihr Kind wegen eines anderen Mannes verlassen, obwohl sie gewusst hatte, wie sehr Nina sie liebte.

      Die Starre wich von Linda. Schluchzend zog sie sich in aller Eile um. Dann verließ sie das Appartementhaus. Als sie die Straße überquerte, wäre sie beinahe in ein Auto gelaufen. Das Geschimpfe des Fahrers nahm sie jedoch nicht einmal wahr. Sie stieg in ihren Wagen ein und fuhr los.

      Dass Lucy Snyder zusammen mit Peter nach Sophienlust gefahren war, war für sie die Bestätigung von Tonios Behauptung, dass die Beiden sich ineinander verliebt hatten. Damit hatte sie Peter für immer verloren. Aber Nina war nach wie vor ihre Tochter. Sie würde darum kämpfen, Nina im Jahr einige Wochen bei sich zu haben.

      Von nun an konnte Linda nur noch an Nina denken, die irgendwo umherirrte. Als sie die Autobahn erreichte, trat sie


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