Helvetia 1949. Philipp Gurt

Helvetia 1949 - Philipp Gurt


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auch immer sofort einkassiert, als wären wir allesamt Zechpreller. Also tschalpten wir halt überpünktlich in dem verreckten Wind kurz vor ein Uhr im Stockdunkeln das Täli churwärts. Die, welche mit einem Automobil gekommen waren, haben andere mitgenommen. Eine kleine Karawane war unterwegs gewesen. Ehrahailigs Wort, mehr kann ich wirklich nicht dazu verzapfen.»

      «Und was für Nasen habt ihr gesehen, die ihr kennt, oder sind euch Fremde aufgefallen?» Caminada hakte weiter nach und deutete Köbi an, dass dieser dem Fritz einen Puff in die Seite versetzen sollte, denn er wollte von beiden gehört werden. Doch wieder gab nur Köbi Antwort: «Ach, das übliche Volk vor dem Eingang. Den einen oder anderen habe ich draussen in der Schlange erkannt, aber auch unbekannte Grinder gesehen – und das in gar noblen Tschööpa. Drinnen ist mir noch die eine oder andere bekannte Stimme aus dem Trubel zu Ohren gekommen, wenn sie gar a Dümmi taten, während Lola uns mit ihren Bewegungen den Kopf verdrehte.»

      «Fritz!» Caminadas nun donnernde Stimme liess dessen Grind dennoch nur bedächtig heben.

      «Läschtiga Khaib bisch, Walter. Ein schneeweisses Automobil, so ein grosses, neues mit Zürcher Nummer, stand neben dem Eingang unter der Blutbuche», kam träge die von Caminada geforderte Antwort.

      Der Landjäger wusste, wieso ausgerechnet Fritz sich an den Wagen so gut erinnern konnte. Der war ein Schniffbuckel, wie er im Buche stand, und stahl, was nicht angewachsen war. In letzter Zeit hatten sich zudem auch in Chur die Diebstähle aus den schlecht verschlossenen Automobilen gehäuft, und in einem Fall, so wusste er es vom Clavadetscher, einem Wachtmeister des Stadtpolizeiamtes, deuteten die Indizien auf den Fritz.

      Vor der «Falla» drückte Caminada seinen Hut fest auf den Kopf, denn noch immer windete es, wenn auch deutlich schwächer als vergangene Nacht. Die Sonne beschien in diesem Moment die grobsteinkörnige Fassade des «Plessurfalls», während das Loch hinten weiterhin im tiefdunklen Schatten lag.

      «Walter, von dem allem hat uns die Rote-Laterne-Wirtin natürlich kein Wort verzapft, aber es ging gestern Abend ja auch drunter und drüber.» Marugg, der im Gegensatz zu Caminada keine schwarzen, sondern ausnahmslos beigefarbene Hüte trug, blickte ihn an.

      Caminada schob seine erloschene Krumme in den anderen Mundwinkel, bevor er antwortete: «Rechtens ist dahinten so einiges nicht, noch nie gewesen. Doch der aktuelle Fall hat das Fass mit Sicherheit zum Überlaufen gebracht, da drückt niemand mehr nicht mal ein Hühnerauge zu. Die Wirtin hoffte mit Garantie wie alle Hotel- und Beizenbesitzer auf das grosse Geld, wenn es am Donnerstag dann endlich mit dem Schützenfest losgeht. Immerhin, in den drei Wochen werden Zehntausende aus der ganzen Schweiz und sogar aus dem Ausland anreisen und davon die Entsprechenden auch den Weg ins Täli finden. So eine Aufführung spricht sich auch unter den Schützen geschwind herum.»

      «Mit Sicherheit. Muss schon was Besonderes sein, wenn man dem Köbi Glauben schenken will, der als Plagöri bekannt ist. Und ausserdem lässt es sich so weit weg von der jeweiligen Heimatgemeinde ungeniert in so eine Vorstellung hocken», pflichtete Marugg bei.

      «So oder so, wir müssen den gestrigen Abend genauer unter die Lupe nehmen. Ausserdem will ich als Erstes wissen, was diese andere Serviertochter, diese Käthy Gruber, über den Abend zu erzählen weiss. Aber dabei müssen wir auf der Hut sein – sie ist eine Gruberin!»

      3

      Wenige Minuten später erreichten die beiden den zuhinterst im Täli liegenden Schrottplatz mit der alten Sägerei der Grubers. Letztere wurde noch immer vom alten Mühlbach angetrieben, der hinter dem Gebäude eingepfercht durch einen schmalen betonierten Lauf schoss und ein gleichmässiges Klappern des Antriebsrades ertönen liess.

      Sie stellten ihre Velotöfflis an den Strassenrand und warteten in gebührendem Abstand zum Rottweiler, der bereits an der Kette tobte, bis der älteste der Gruberbrüder, der mächtige Simmi, aus der Sägerei schritt, über der die Grubers allesamt hausten. Rund um die baufälligen Gebäude mit ihren schäbigen Fassaden lag Gerümpel unordentlich gestapelt: rostige Bleche, alte Räder, verbeulte Fässer, halbwegs zugedeckt mit einer grünen Plane, die mit Sicherheit kein Wasser mehr abwies, und ein alter, nur noch dreirädriger Pferdeanhänger, der schief in der Gegend stand und rückseitig von einer Ranke umwachsen war. Dazu drückte, wenn der Wind kurz abflaute, immer wieder schwallweise Verwesungsgestank von der angrenzenden Gerberei des Schwinta-Hitsch herüber.

      Während Simmi auf die beiden Ermittler zukam, zog er seine Hose unter dem sich über den Gürtel wölbenden Ranzen zurecht.

      «Und?» Er kaute auf einem Zahnstocher herum, während er sich vor den beiden Ermittlern aufbaute und zu ihnen herunterblickte.

      «Guata Tag, Simmi. Hast du heute Morgen deinen Anstand etwa im Haus gelassen?» Caminada schaute ihn streng an. Er wusste, er durfte sich jetzt keine Blösse geben.

      «Wer weiss? Wenn ich nur einen von euch sehe, gibt’s nämlich meistens Ärger, und wenn zwei oder mehr kommen, dann garantiert.» Simmi spuckte seitlich zu Boden und kraulte mit seinen Pranken den mächtigen Kopf von Nero, der zweifellos sofort angreifen würde.

      «Na ja, wenn euer Schrottplatz Gegenstände ‹anzieht›, die deswegen jemandem fehlen, dann zieht’s uns von Gesetzes wegen hierher und bis jetzt ja noch nie umsonst, wie du mit Bestimmtheit bestens weisst. Also, tu nicht so scheinheilig und schreib dir das hinter deine Löffel, auch wenn diese weiter oben hängen als bei allen anderen im Churer Täli.»

      Caminada war sich einiges gewohnt. Seit Jahren liess der Respekt gegenüber Beamten zudem spürbar nach, doch die Grubers waren nochmals eine andere Sache.

      «Diesmal kommst du aber vergebens.»

      «Ich hoffe es, denn diesmal geht’s um z’Käthy. Ist sie denn da?»

      «Wieso sie?» Der Riese konnte seine Verwunderung darüber nicht verstecken. «Die tut doch gewiss nichts Unrechtes.»

      «Ist sie nun da oder nicht? Es geht um ihre Arbeit in der Roten Laterne.»

      «Was weiss ich. Wenn ja, liegt sie in ihrer Kammer. Wie du sicher bereits weisst, war die gestern am Servieren.» Er drehte sich zum Haus um, das rückseitig fast die schroffen Felsen berührte, und brüllte wiederholt zu einem der kleinen Fenster hoch, sodass die Enge der Schlucht die Rufe widerhallte. Er wartete einige Sekunden, nur das Klappern des Mühlrades war zu hören.

      «Die ist nicht da. Wahrscheinlich hat sie wieder mal bei ihrem Hallodri übernachtet.» Sein Atem roch nach Alkohol.

      «Soso, grad därra wäg? Und wie heisst der Hallodri?», wollte Caminada wissen.

      «Willi Martschitsch», folgte unwirsch die Antwort.

      «Ach, der Jüngste vom Maler in der Oberen Plessurstrasse? Das ist doch aber ein anständiger Kerl?» Diesmal wunderte sich Caminada, denn es galt als verpönt, mit einer aus dem Täli zu gehen und mit der Gruberin erst recht, aufgrund des schlechten Rufes der gesamten Sippe.

      «Jawohl, diesen meine ich – einer der Mehrbesseren, der sich wegen unsereinem zu schämen brauchen muss – so glauben die!» Er verschränkte seine kräftigen Arme, die dick wie Oberschenkel schienen, und stand noch breitbeiniger hin. «Doch wie jeder weiss, stinkt auch deren Scheissdreck, nur ihr Scheisshaus ist schöner.»

      «Wo wart ihr drei denn gestern Abend?» Mit den «drei» meinte Caminada auch dessen zwei jüngere Brüder, Kläusli und Ernst, die im Gegensatz zu Simmi sogar einen Kopf kleiner als normal gewachsene Männer waren, wenngleich dafür stämmig und bärtig wie zwei Kampfzwerge. Zu unterschätzen waren auch die aber alleweil nicht, wusste Caminada aus zwei Einsätzen, als die Gruberbrüder besoffen in der Bierhalle am Obertor randaliert hatten.

      «Du meinst, ob wir auch hinten in der Roten Laterne hockten, um ein Auge auf z’Käthy und eines auf diese Lola zu werfen?» Er grinste. «Nein, wir haben hier zu dritt einen scharfen Jass geklopft und genehmigten uns hauseigenes Zuckerwasser. Und das Käthy, das weiss sich zu wehren, ist ja eine Gruberin.»

      «Hat sonst noch jemand mit euch gejasst?» Er ignorierte Simmis Aussage wegen des Zuckerwassers, denn es war bekannt, dass sie wieder Schnaps brannten, und das nicht


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