Der neue Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman - Michaela Dornberg


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zum Atmen. Er war wie ein böses Geschwür. Sie war Ärztin und wusste sehr genau, dass man Geschwüre herausschneiden konnte.

      Sie musste etwas unternehmen, das war ihr klar. Doch nicht jetzt! »Alma, ich bin dann mal weg, ich bin schon spät dran.«

      Alma blickte ihre Chefin, an der sie mit dankbarer Bewunderung hing, an.

      »Passen Sie auf sich auf, Frau Doktor. Und bitte, unternehmen Sie etwas. Wenn Sie nichts tun, wird dieser Mann niemals aufhören.«

      Roberta spürte die ehrliche Anteilnahme ihrer treuen Haushälterin. Sie schenkte ihr ein Lächeln.

      »Danke, Alma, doch bitte hören Sie auf, sich meinet­wegen solche Sorgen zu machen … ich werde etwas unternehmen, versprochen.«

      Das hatte sie jetzt sagen müssen, denn Alma sah so bekümmert aus, dass es einem ans Herz gehen konnte.

      »Das ist gut, Frau Doktor, das ist sehr gut. Und glauben Sie mir, Sie werden erleichtert aufatmen, wenn dieser böse Spuk erst einmal vorbei sein wird.«

      Diese Worte nahm Roberta mit auf den Weg.

      Es stimmte alles, was Alma da gesagt hatte, und das wusste sie ja selbst ebenfalls. Außerdem war ihr jetzt klar, dass sie das gegebene Versprechen halten musste, um nicht unglaubwürdig zu erscheinen.

      Doch da gab es ja auch noch ein ganz kleines Hintertürchen. Es konnte ja auch sein, dass Max aufhören würde, nachdem sie heute den Autohändler unverrichteter Dinge hatte gehen lassen.

      Ein wenig verachtete Roberta sich selbst für dieses Denken. Sie war eine toughe Frau, stand mitten im Leben, war eine hervorragende Ärztin, traf schwerwiegende Entscheidungen.

      Nein!

      Sie wollte nicht mehr darüber nachdenken Auch wenn es ein wenig feige war, sie verschob es auf morgen.

      Außerdem hatte sie überhaupt keine andere Wahl, eine Tochter des quengeligen Herrn Zoch erwartete sie bereits an der Haustür.

      »Was für ein Glück, dass Sie kommen, Frau Doktor«, rief sie aufgeregt, »mit meinem Vater ist heute überhaupt nichts anzufangen, der kann einem wirklich den allerletzten Nerv rauben. Aber wenn Sie jetzt da sind, wird alles gut. Sie haben einen so wunderbaren Einfluss auf ihn.«

      Roberta begrüßte die aufgelöste Frau, sprach ein paar beruhigende Worte, und dann dachte sie nicht mehr an Max, nicht mehr an den Autohändler Schmidt.

      Sie war die Ärztin, die nur noch für ihren Patienten da war.

      *

      Es gab ja Frauen, für die es nichts Schöneres gab als zu shoppen oder wenigstens in der Stadt herumzulaufen und sich an den Auslagen der Schaufenster die Nasen platt zu drücken.

      Dazu gehörte Inge Auerbach nicht, zu diesen Frauen hatte sie auch nie gehört, auch damals nicht, als sie noch jung gewesen war. Sie hatte ihre Freundinnen nicht verstehen können und hatte sich lieber mit einem spannenden Buch zurückgezogen.

      Bücher …

      Ja, die gehörten zu ihrem Leben, und sie musste an sich halten, da nicht ein wenig maßlos zu werden. Mittlerweile zwang sie sich, sich erst wieder ein neues Buch zu kaufen, wenn sie das zuvor angeschaffte ausgelesen hatte. Es klappte nicht, es blieb bei dem Vorsatz, denn es war ein unglaublich schönes Gefühl, in die Vollen greifen zu können und sich aus den neuen Schätzen das herauszusuchen, wonach einem gerade war. Es fühlte sich für Inge auch schon befriedigend an zu wissen, dass sie all die Objekte ihrer Begierde bereits im Haus hatte und nur danach greifen musste.

      Auch heute hatte sie in der Buchhandlung wieder so richtig zugeschlagen, dabei hatte sie doch nur ein bestelltes Buch für ihre Mutter abholen wollen. Und das hatte sich ergeben, weil sie in die Stadt gefahren war, um Schuhe beim Schuster abzuholen. Das hatte sie auch getan, dann war ihr im Vorübergehen in einer Boutique ein wunderschöner weicher Cashmereschal in einem herrlichen Bordeaux aufgefallen. An dem hatte sie nicht vorübergehen können, damit ließen sich manche Outfits prima aufpeppen. Das war manchmal nötig, denn Inge liebte es eher schlicht.

      Es war also nicht so, dass sie sich nicht für Mode interessierte, sie machte sich gern hübsch. Aber es war nicht ihr Lebensmittelpunkt, und sie würde auch nicht das Geld aus dem Fenster hinausschmeißen, wie Rosmarie Rückert es früher getan hatte.

      Rosmarie …

      Inge wurde ein wenig wehmutsvoll zumute, wenn sie an Rosmarie dachte. Das hätte sie nicht für möglich gehalten, doch es war so, seit Rosmarie sich unglaublich verändert hatte. Und dass sie es geschafft hatte, ihren Mann Heinz zu einer Reise sozusagen ins Blaue zu bewegen, darauf hätte Inge ebenfalls nicht gewettet. Doch dem Fass den Boden ausgeschlagen hatte es im wahrsten Sinne des Wortes die Tatsache, dass Heinz, jawohl, der dröge Notar Heinz Rückert, auf die Idee gekommen war, wenn schon, dann doch mit Jeep und Wohnwagen loszufahren.

      Sie hatten es getan, und es schien ihnen gut zu gehen, das war aus den spärlichen Nachrichten zu ersehen, die hier und da Fabian und Ricky bekamen. Sie selbst hatte von Rosmarie noch nichts gehört, was sie ein wenig wunderte. Aber andererseits war das ein Zeichen dafür, dass es ihr gut ging, dass sie sich nicht ausweinen musste. Und wenn man so wollte, zwischen ihnen und Hannes herrschte ebenfalls Funkstille, absolute Funkstille, seit er sich entschlossen hatte, den Jakobsweg zu gehen. Inge zwang sich immer wieder dazu, sich nicht das Schlimmste auszumalen, und sie hatte heute auch die Gelegenheit ergriffen, in der Kirche für ihn eine Kerze anzuzünden. Das hatte sie auch regelmäßig getan, als Hannes nach dem Abitur zu einer Weltreise mit Rucksack und ohne Ziel aufgebrochen war.

      Er war gesund wiedergekommen!

      Und das war für Inge das Zeichen, auch jetzt um eine gesunde Wiederkehr zu beten, wenngleich man eine Reise in die entlegendsten Ecken der Welt nicht mit einem Weg vergleichen konnte, auf dem sich beinahe jeder tummelte, vielfach nur, weil es einfach hipp war sagen zu können, dass man den Jakobsweg ebenfalls gegangen war und die ersehnte Pilgerplakette in Santiago de Compostela erhalten hatte, auch wenn das manchmal ein wenig ermogelt war, und hundert Kilometer waren nichts im Vergleich zu den beinahe tausend Kilometern, die Hannes ging. Aber so war Hannes nun mal, für den zählte ganz oder gar nicht. Sie wünschte ihm von ganzem Herzen, dass er herausfinden würde, wie es mit ihm weitergehen sollte. Und da vermied sie es, ihre eigenen Wünsche zu stark werden zu lassen, er möge sich in ihrer Nähe niederlassen und anfangen zu studieren. Ja, es wäre schön, das gab sie ja zu. Aber da war sie nicht wie Werner, für den in erster Linie eine akademische Laufbahn zählte. Für sie zählte, dass ihre Kinder glücklich waren, und das konnte man auch sein, ohne einen Doktor vor seinem Namen zu haben.

      Inge blickte auf ihre Armbanduhr.

      Ein wenig Zeit hatte sie noch, außerdem hatte sie Lust auf einen Kaffee, und deswegen lief sie beinahe automatisch über den Marktplatz, nachdem sie ihre Schätze im Auto verstaut hatte.

      Das beliebte Caféhaus war ihr Ziel, und sie würde sich zu ihrem Kaffee auch ein Stück Sachertorte gönnen, die hier beinahe so köstlich war wie in Wien.

      Es waren Kalorien ohne Ende, und eigentlich müsste sie sich die Torte verkneifen. Sie musste sich nichts vormachen, sie hatte leider an Hüftgold zugelegt, und ihre Hose, die saß ganz schön spack. Immer dieser Ärger mit den Pfündchen. Warum war sie nicht so rank und schlank wie ihre Eltern? Die waren zu beneiden, denn die konnten essen was sie wollten, ohne zuzunehmen.

      Nein, sie kam auf Großmutter Henriette, die Oma väterlicherseits, von der sie so ziemlich alles geerbt zu haben schien. So sagte man, kennengelernt hatte sie die Oma leider nie.

      Ach, was sollte es!

      Heute würde sie sich die Torte noch einmal gönnen, wer weiß, wann sie das nächste Mal nach Hohenborn kam. Außerdem konnte sie ab morgen damit anfangen, von allem ein wenig weniger zu essen. Und Apfelsaft trinken musste sie auch nicht, auch wenn er lecker


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