Der neue Sonnenwinkel Staffel 4 – Familienroman. Michaela Dornberg
konnte versuchen, sie zu beknien, sie würde hart bleiben. Es musste nicht jeden Tag etwas Süßes im Haus sein.
Inge hatte ihr Ziel erreicht, in erster Linie freute sie sich auf den Kaffee, den brauchte sie jetzt. Was sich da bei ihr abspielte, das war schon Suchtverhalten, doch Inge stand dazu. Ein Laster musste oder konnte, wie man es auslegen wollte, jeder haben.
Es gab mehrere Cafés, auch, wie man es heutzutage gern nannte, Coffeeshops, aber dieses kleine Café war von Anfang an der Knaller, es war immer voll. Es war anheimelnd eingerichtet, vor allem stimmte das Preis-Leistungs-Verhältnis. Man bekam hier zwei Tassen Kaffee, guten Kaffee wohlgemerkt, wo man anderswo für das Geld nicht einmal eine Tasse bekam.
Inge war nicht geizig, doch sie achtete darauf, wofür sie ihr Geld ausgab.
Sie betrat das Café, hielt Ausschau nach einem freien Platz, und dann erstarrte sie.
An einem der Tische entdeckte sie ihren Werner, an seiner Seite eine sehr attraktive junge Frau, die wesentlich jünger war. Sie schienen sich blendend zu unterhalten, und jetzt langte Werner auch noch über den Tisch, griff nach dem Arm der Frau, hielt ihn fest, lachte sie an.
Inge drehte sich der Magen um.
Es war eine Szene, wie man sie häufig in Filmen, sei es nun im Fernsehen oder im Kino, erlebte.
Selbst einmal betroffen zu sein, das hatte eine ganz andere Dimension.
Sie war wie gelähmt.
Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, tausende von Fragen schossen ihr durch den Kopf. Wer war diese Frau? Woher kannte Werner sie? Hatte er mit ihr eine Affäre? Es wäre leicht für ihn, das vor ihr zu vertuschen, denn auch wenn er sein Arbeitstempo heruntergeschraubt hatte, wenn er nicht mehr so oft weltweit unterwegs war, war er noch immer umtriebig. Und sie hatte keine Ahnung, ob es wirklich wissenschaftliche Vorträge waren, zu denen er fuhr.
Und sagte man den Männern nicht nach, dass sie ab einem gewissen Alter so etwas wie einen zweiten Frühling bekamen? Die Frau war jung, die Frau war attraktiv!
Das passte in das Klischee!
Sie hatte Werner vertraut, war sich seiner sicher gewesen, weil sie sich noch immer liebten. Da war sie überhaupt nicht auf den Gedanken gekommen, dass Werner ausbrechen und sie betrügen würde.
War sie zu leichtgläubig gewesen?
War sie nicht mehr attraktiv für ihn?
Sie starrte auf Werner und seine Begleiterin und war nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
Die Bedienung kam auf sie zu, lächelte sie an, man kannte Inge hier schon. Auch wenn sie nicht so oft nach Hohenborn kam, so suchte sie, wenn sie hier war, immer das Caféhaus auf.
»Im Augenblick ist gerade kein Tisch frei«, sagte die nette junge Frau, »aber die Herrschaften dort drüben haben gerade gezahlt, es kann nicht mehr lange dauern, bis sie gehen werden.«
Das machte Inge beinahe panisch, weil sie nicht wusste, ob die erwähnten Herrschaften Werner und seine Flamme waren. Außerdem konnte sie sich doch jetzt nicht an einen Tisch setzen, seelenruhig Kaffee und Kuchen bestellten und ihrem Mann dabei zusehen, wie er mit einer anderen herummachte.
»Ich mache noch ein paar Besorgungen und komme später wieder, vielleicht habe ich dann mehr Glück. Danke«, nach diesen Worten stürmte sie hinaus, und jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten, als sie über den Marktplatz stolperte.
Werner betrog sie!
Er hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er nach Hohenborn fahren würde, denn dann hätte ja auch er zum Schuster und in die Buchhandlung gehen können.
Inge hatte keine Ahnung, wie sie zu ihrem Auto gekommen war. Sie setzte sich hinein, und es dauerte eine ganze Weile, ehe sie in der Lage war, loszufahren. Und das hätte sie vermutlich noch nicht getan, wenn nicht jemand aufgebracht gehupt hätte, der auf den Parkplatz wartete.
Es war ein so schöner Morgen gewesen, die Krönung hätte der Aufenthalt in dem Café sein sollen.
Wäre sie doch bloß nicht hingegangen, dann wäre es ihr erspart geblieben, Werner an der Seite einer anderen zu sehen. Es schmerzte!
Sie wusste nicht, wie sie sich ihm gegenüber jetzt verhalten sollte.
Ihn konfrontieren mit dem, was sie gesehen hatte?
Dann würde er sie prompt fragen, warum sie nicht einfach an seinen Tisch gekommen sei. Ja, da war Inge sich sicher, das würde Werner bringen. Und obwohl er Dreck am Stecken hatte, wäre ihr das peinlich.
Aber eine derartige Frage war schon berechtigt. Warum war sie eigentlich nicht an den Tisch gegangen, hätte sich als Ehefrau präsentiert. Ihr musste nichts peinlich sein, nicht ihr, sondern dieser anderen Frau, die auch noch so richtig sympathisch gewirkt hatte. Das auch noch!
Vielleicht war ja auch alles ganz harmlos gewesen?
Nein, das glaubte Inge nicht.
Werner war hingerissen gewesen, außerdem kannte Werner keine Leute, die nicht auch ihr bekannt waren. Und diese Frau hatte sie noch nie zuvor gesehen, so, wie sie aussah, wäre sie ihr aufgefallen, bestimmt.
Es tat richtig weh, wenn Inge daran dachte, wie vertraut sie miteinander gewesen waren.
Wann hatte Werner eigentlich mit ihr das letzte Mal so unbeschwert gelacht? Inge konnte sich nicht daran erinnern, und je mehr sie sich den Kopf zermarterte, umso unglücklicher wurde sie.
Von ihrem Mann betrogen zu werden, so etwas wäre ihr nicht einmal in ihren kühnsten Träumen eingefallen. Doch nicht ihr Werner!
War sie sich seiner zu sicher gewesen? Immerhin war er ein attraktiver Mann in den besten Jahren, und er war ein weltbekannter Professor. Er hatte schon einiges in die Waagschale zu werfen, was ihn für ehrgeizige Frauen begehrlich machte.
Inge musste sich auf den Verkehr konzentrieren. Beinahe wäre sie in das vor ihr fahrende Auto hineingeknallt, das plötzlich langsamer geworden war.
Sie hatte gerade noch Glück gehabt. Ein Autounfall, das wäre es jetzt auch noch.
Sie fuhr langsamer und versuchte, sich zu konzentrieren, auch wenn ihr das sehr schwerfiel, ihre Gedanken wirbelten durcheinander wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm.
Wie sollte sie sich verhalten?
So tun, als sei nichts geschehen?
Würde sie das fertigbringen?
Es war für Inge unvorstellbar. Sie war ein durch und durch aufrichtiger Mensch, irgendwelche Spielchen lagen ihr fern.
Am liebsten würde Inge jetzt nicht nach Hause fahren, sondern ganz weit weg. An einen Ort, an dem sie sich nicht den Tatsachen stellen musste, wo sie sich vormachen konnte, alles sei in bester Ordnung.
Das war Unsinn, sie konnte sich nicht vor dem, was sie mit eigenen Augen gesehen hatte, verschließen. Außerdem war da noch Pamela, die nicht darunter leiden durfte, dass ihre Eltern da gerade eine Krise hatten. Und ihre Eltern waren auch noch da, die würden sich Sorgen machen.
Der kurze Augenblick, einfach davonzulaufen, war vorüber. Inge riss im allerletzten Augenblick das Steuer herum und fuhr den gewohnten Weg nach Hause, nicht den, der auf die Autobahn führte.
Flucht war kein Ausweg!
Das war ein Satz, den sie immer predigte, dann hatte sie sich gefälligst ebenfalls daran zu halten.
Die Sonne schien vom klarblauen Himmel, auf dem weiße Schäfchenwolken tanzten. Es war ein wunderschöner Tag, doch davon bekam Inge nichts mit. Für sie war alles düster und grau, und