Touched: Süchtig nach dir. Lea Mayance
alles klar?«, fragte Connor, als sie neben ihm Platz nahm.
»Na ja, geht so«, entgegnete sie und zog einen Mundwinkel nach oben.
»Du hast dich prima gehalten«, sagte Connor und ließ einen Moment seinen Blick auf ihr ruhen. »Genieße es einfach.«
Die Show lief ähnlich ab wie die vielen Preisverleihungen, die Greta schon im Fernsehen verfolgt hatte. Der Laudator hielt die Lobrede, dann lief ein kurzer Filmeinspieler mit dem Geehrten, der daraufhin die Bühne betrat und den Preis in Empfang nahm. Trotzdem war es etwas anderes, mittendrin zu sein. Und sie genoss es. Im Grunde genommen war die gesamte deutsche Prominenz vertreten, Schauspieler, Sänger, Sportler und natürlich B- und C-Sternchen. Greta spähte immer mal wieder zu dem einen oder anderen und konnte kaum glauben, dass sie gemeinsam mit ihnen in einem Raum saß.
Als die Show bereits zwei Stunden lief, wurde Connor von einem Mitarbeiter des Organisationsteams informiert, dass er gleich auf die Bühne müsse. Mirco Schüttke, der beliebte Schauspieler, betrat die Bühne und hielt eine kurze Ansprache, in der er Connors Engagement für das schwierige Thema, das in dem Film Flashback aufgegriffen wurde, lobte. In dem Film, so erklärte Schüttke dem Publikum, gehe es um einen Psychiater, der einen Jungen behandelt, der von seinem Vater missbraucht worden ist. Die Therapie nimmt den Psychiater sehr mit, und er realisiert schließlich, dass er als Kind selbst missbraucht worden ist, aber die schrecklichen Erlebnisse tief in seinem Inneren vergraben hat. Dies wirft ihn völlig aus der Bahn und er steht schließlich am Rande des Selbstmordes, bis er Hilfe bei einer Kollegin findet.
Greta hatte das Drama zwar nicht gesehen, erinnerte sich aber gut daran, dass es kurz vor dem Kinostart zu einem Skandal in Deutschland gekommen war. Als die erwachsene Tochter eines Bundestagsabgeordneten öffentlich gemacht hatte, dass ihr Vater sich jahrelang an ihr vergangen hatte hatte, wurde wochenlang darüber in den Medien berichtet. Viele Menschen gingen auf die Straße und demonstrierten für ein härteres Vorgehen gegen Kindesmissbrauch und ein höheres Strafmaß. Flashback hatte durch die aktuellen Ereignisse mehr Aufmerksamkeit bekommen, als unter anderen Umständen zu erwarten gewesen wäre.
Connor hörte die Übersetzung der Rede in seinem Kopfhörer mit. Immer wieder schwenkte die Kamera auf ihn. Ein Ausschnitt von Flashback, in dem Connor nicht nur die Hauptrolle gespielt, sondern zudem Regie geführt hatte, wurde gezeigt.
»Dieser Film hat dazu beigetragen, dass ein wichtiges Thema, nämlich der Missbrauch von Schutzbefohlenen, diskutiert und enttabuisiert wurde. Ich freue mich deshalb sehr, Connor O’Bannion diese Auszeichnung zu überreichen«, endete Mirco Schüttke.
Als Connor aufstand, brandete Applaus auf. Die Kameras wurden wieder auf ihn gerichtet, und Greta hoffte inständig, dass sie nicht ins Bild kam. Connor stieg die Treppen zur Bühne hinauf und bekam den Preis von dem Laudator überreicht. Er trat an das Pult, holte aber seinen Zettel, den er vorbereitet hatte, nicht aus dem Jackett. Er schaute ins Publikum und wartete, bis der Applaus abgenommen hatte.
»Meine Damen und Herren, heute habe ich einen Preis verliehen bekommen, der mir persönlich sehr viel bedeutet. Ich möchte mich beim deutschen Publikum und der Jury hierfür bedanken. Ebenso danke ich meinen Mitarbeitern und Mitstreitern. Ich möchte aber auch die Gelegenheit wahrnehmen, hier, heute Abend, zu einem Kampf aufzurufen. Zu einem Kampf gegen sexuellen Missbrauch, Kinderprostitution und Gewalt gegen Kinder. Und ich bitte Sie gleichzeitig, den Opfern Ihre Unterstützung zu gewähren. Damit betroffene Kinder ein lebenswertes Leben führen können, müssen sie psychiatrisch behandelt und intensiv betreut werden. Aber oft fehlen die Mittel. Ich werde deshalb mit der Hälfte meiner Gage aus diesem Film einen Fonds gründen, der diesen Kindern zugutekommen soll. Bitte unterstützen Sie mich gerne mit einer Spende dabei. Vielen Dank.«
Er senkte den Kopf und ging von der Bühne. Tosender Applaus begleitete ihn. Die Gäste erhoben sich von ihren Plätzen und klatschten, bis er wieder auf seinem Platz saß.
Connor schaute Greta an, blinzelte ihr zu und nahm ihre Hand. Sie war beeindruckt. Und überrascht. Nach allem, was sie in der vergangenen Woche im Internet über ihn in Erfahrung gebracht hatte, hatte sie ihn eher für jemanden gehalten, der Spaß im Leben haben wollte und gern mal über die Stränge schlug. Connor war Medienberichten zufolge öfter wegen Alkohol am Steuer aufgefallen und feierte bei allen Gelegenheiten kräftig mit. Angeblich hatte er sogar mal auf einer Party in volltrunkenem Zustand seinen Hintern entblößt. Jedenfalls schrieben das die Klatschblätter. Irgendwie passte das alles nicht so recht zusammen. Das hier zeigte eine völlig andere Seite von ihm.
Vielleicht sind viele Sachen einfach von den Medien erfunden. Ich habe jedenfalls einen anderen Connor O’Bannion kennengelernt.
Nach der Preisverleihung leerte sich der Saal zusehends. Viele wollten offenbar schnell zur After-Show-Party.
»Wie sieht’s aus, möchtest du noch auf die Party gehen?«, fragte Connor Greta.
»Das waren bis jetzt schon so viele neue Eindrücke und ich bin ziemlich erschöpft. Aber das kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen.«
»Das stimmt, das solltest du dir wirklich anschauen«, lächelte Connor.
»Aber wenn du zurück ins Hotel möchtest, können wir das natürlich machen«, beeilte sie sich, zu sagen.
»Nein, schon gut, wir schauen da vorbei, es ist ja in der Nähe.«
Greta hatte sich darauf gefreut, die VIPs einmal hautnah zu erleben, und die Preisverleihung hatte ihr schon einige Einblicke gewährt. Auf der Damentoilette hatte Greta ein interessantes Gespräch zwischen zwei Schauspielerinnen mitbekommen. Die beiden Damen lästerten über eine Kollegin, weil diese sich offensichtlich hatte liften lassen. Dabei sahen die beiden Frauen ebenfalls so aus, als wären einige Körperteile jünger als der Rest.
Greta empfand vieles innerhalb dieser Promiwelt als aufgesetzt und scheinheilig. So viele Menschen, die miteinander wetteiferten, um im Vordergrund zu stehen. Jeder warf sich in Pose und wollte sich von seiner besten Seite zeigen, insbesondere, wenn Kameras in der Nähe waren. Möglicherweise traf das nicht auf alle Anwesenden zu, aber ein Großteil liebte es offensichtlich, sich in Szene zu setzen. Connor ließ sich ebenfalls bereitwillig mit seinem Preis fotografieren. Er hatte kein Problem damit, allein vor der Werbewand zu stehen, dem Blitzlichtgewitter ausgesetzt zu sein und charmant in die Kameras zu lächeln.
Greta stand drei Meter entfernt und schaute sich das Spektakel an. Ist das tatsächlich derjenige, mit dem ich heute Mittag noch im Schwimmbad herumgealbert habe?
Die Musik wummerte, als sie den großen Raum betraten, in dem die Party stieg. Es wurde ausgelassen getanzt, geredet, gelacht, geflirtet und Champagner floss in Strömen. Connor, Carl und Greta schlängelten sich durch die Massen. Connor wurde dabei ständig angesprochen und musste viele Hände schütteln oder für Selfies in Handykameras lächeln. Er blieb stets freundlich und antwortete jedem.
Greta registrierte die neugierigen, manchmal abschätzigen Seitenblicke auf sich. Sicherlich fragten sich viele, wen er da mitgebracht hatte. Connor ließ ihre Hand nicht los, als wollte er sie in dem Getümmel nicht verlieren. Greta kam sich wie ein Anhängsel vor und fühlte sich nicht sonderlich wohl in ihrer Haut. Trotzdem versuchte sie, die ganze Zeit zu lächeln, und hatte nach einer Weile das Gefühl, dass ihr Gesicht zu einer Maske erstarrt war. Außerdem schmerzten ihre Füße unerträglich in den hohen Pumps, und sie hoffte, dass sie das Spektakel bald überstanden hätte.
Nach Mitternacht brachte die Limousine sie zurück zum Hotel. Connor hielt während der Fahrt noch immer ihre Hand. Es war ihm offenbar egal, dass Carl dies mitbekam.
Greta hatte das Gefühl, als ob die Wärme, die von seiner Hand ausging, in ihre floss, was ein schönes Gefühl war. Sie wurde viel ruhiger und schüttelte die Anspannung des Abends von sich ab. Erschöpft ließ sie ihren Kopf auf seine Schulter sinken.
Connor streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken, während er mit Carl die Bilanz des Abends zog. Carl war zufrieden. Er hatte schon die einschlägigen sozialen Medien gecheckt und erzählte Connor von den positiven Resonanzen auf seine Rede. Greta hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie fühlte sich wohlig und geborgen an Connors Schulter.