Petra und der Reiterhof. Torbjörg Hagström
„Könnten wir das Pony vielleicht für eine Woche zur Probe bekommen, ehe wir uns entschließen?“ fragte Herr Johanson.
Das Mädchen machte ein nachdenkliches Gesicht. „Ich reise in ein paar Tagen nach Italien“, sagte sie. „Aber halt, jetzt weiß ich, wie wir es machen! Sie können Cherokee mieten, bis ich Anfang September zurückkomme. Dann bleibt Ihnen genug Zeit, um festzustellen, ob Sie ihn haben wollen oder nicht.“
„Wäre dir das recht, Astrid?“ fragte Frau Johanson.
„Ja, keine schlechte Idee.“
„Hurra!“ schrie Lena.
Schon am nächsten Tag stand Cherokee im Stall der Reitschule, und Lena und Astrid wohnten nun mehr oder weniger mit in seiner Box. Das Pony war sanft und freundlich und hatte nichts dagegen, daß die Schwestern stundenlang bei ihm saßen. Manchmal bettelte er um Süßigkeiten, doch er schnappte nie nach jemandem.
„Du könntest jetzt sicher schon bei einer gewöhnlichen Reitstunde mitmachen“, meinte Petra, die jeden Tag kam und ihrer blinden Freundin half, Cherokee zu versorgen.
Doch das wollte Astrid nicht, und Petra drängte nicht. Eines Vormittags sahen sie bei einer Reitstunde zu, an der Lena teilnahm. Das heißt, Petra sah zu und erzählte Astrid, was vor sich ging.
„Macht Cherokee heute einen faulen Eindruck?“ fragte Astrid.
„Nein, das finde ich nicht. Er scheint gern zu springen, und die Hindernisse sind ja auch sehr niedrig.“
„Gestern war er furchtbar träge, als ich ihn ritt.“ Astrid seufzte. „Manchmal trabt er plötzlich im Kreis herum und biegt nach links oder rechts ab, so daß ich nicht mehr weiß, wo vorn und hinten ist. Und wenn ich mich dann endlich wieder zurechtgefunden habe, ist er fast eingeschlafen und will einfach nicht munter werden.“
„Ja, gestern hat er sich dumm benommen“, stimmte Petra zu. „Mal sehen, wie es heute klappt.“
Astrid hatte gehofft, daß sie von Tag zu Tag besser mit dem Pony zurechtkommen würde. Sie hatte gedacht, daß Cherokee zum Ende der Bedenkzeit ebenso verläßlich und gefügig wie Svala sein würde, so daß sie aus vollem Herzen sagen konnte: „Den will ich haben!“
Doch Cherokee war durchaus nicht gefügiger geworden. Im Gegenteil; er hatte entdeckt, daß Astrid eine sanfte und nachgiebige Reiterin war. Lena war zwar etwas bestimmter, aber sie war noch ziemlich klein und leicht. So entdeckte Cherokee ganz einfach, daß er der Stärkere von ihnen war.
Als der Unterricht beendet war, wurden die Pferde der Reitschule in den Stall zurückgeführt. Astrid schwang sich auf Cherokees Rücken, und Lena stellte die beiden Radios in den Ecken der Bahn auf.
Petra bewaffnete sich noch mit einer Reitgerte, und dann begann die Stunde. Cherokee ging gehorsam vorwärts, solange Petra ihm folgte und mit der Peitsche drohte, doch kaum war sie in sicherem Abstand, begnügte er sich mit einem langsamen, schläfrigen Trott.
„Himmel, ist der heute wieder faul!“ seufzte Astrid nach einer Weile.
„Läßt du’s mich mal versuchen?“ fragte Petra.
Tatsächlich gelang es ihr schnell, das Pony in Trab zu bringen. Sie ritt einige Runden im Galopp, um Cherokee aufzuwecken. Als Astrid dann wieder im Sattel saß, zeigte er sich etwas williger als vorher, doch es hielt nicht lange an.
„Willst du ihn noch eine Runde reiten?“ fragte Astrid, als Cherokee wieder allzu langweilig wurde.
„Nein, ich kann ihn doch nicht dauernd antreiben“, erwiderte Petra. „Das mußt du selbst lernen; schließlich willst du ihn ja reiten.“
„Komisch“, sagte Lena, „beim Springen war er doch noch ganz munter.“
„Das hat ihm wohl mehr Spaß gemacht“, meinte Petra. „Also gut, wir holen ein paar Kisten her, dann sehen wir schon, ob’s besser geht.“
„Aber ich kann doch nicht springen!“ protestierte Astrid.
„Du kannst es ja lernen“, sagte Petra. „Es ist wirklich keine Kunst, über eine niedrige Kiste zu springen.“
Doch Cherokee stieg vorsichtig über das Hindernis und setzte seinen gleichmäßigen Trott am Zaun entlang fort.
„Mach halt und wende auf der Vorderhand!“ rief Petra. „Ja, so ist es gut. Reite jetzt im Trab heran! Treib ihn an!“
Als Cherokee sah, daß Petra auf ihn zukam, fiel er in heftigen Trab. Er setzte seinen Weg sicher und geschmeidig über die Kiste fort. Dann stellte Petra zwei Kisten aufeinander und eine dritte unmittelbar davor, so daß die Hindernisse im Sprung genommen werden mußten.
„So, jetzt hab ich ein kleines Hindernis aufgebaut. Reite einfach gerade darauf zu und treibe Cherokee energisch an.“
Sicherheitshalber stellte sich Petra auf die eine Seite, damit das Pony nicht ausbrechen konnte. Doch es trabte ohne Zögern auf die Kiste zu und setzte mit sauberem und geschmeidigem Sprung darüber. Astrid saß ruhig im Sattel und störte ihn kaum dabei.
„Das war gut“, sagte Petra.
„O … Springen ist ja eine tolle Sache!“ stieß Astrid hervor.
Sie sprang noch mehrmals über das kleine Hindernis. Manchmal konnte sie Cherokee nach dem Absprung sogar dazu bringen, in Galopp zu fallen. Petra dachte an das Springturnier in Klasse Leicht-C. Es war wirklich schade, daß Astrid blind war, sonst hätte sie vielleicht mit Cherokee am Wettkampf teilnehmen können. Zum Üben wäre ja noch genug Zeit gewesen.
Nach der Lektion sattelte Astrid das Pony selbst ab.
„Petra, kannst du morgen auch kommen?“ fragte sie. „Ich möchte gern wieder springen.“
„Ich auch!“ warf Lena rasch ein.
Petra sah von einer zur anderen.
„Soll ich Svala mitbringen, damit ihr beide gleichzeitig springen könnt?“
„Oh, würdest du das tun? Darf ich Svala reiten?“ fragte Astrid eifrig, und Petra nickte.
Am Nachmittag war Training für die Vorführungen zur Einweihungsfeier. Lena war auch mit von der Partie und übte Voltigereiten auf Troll. Karin führte das Fjordpferd an der Longe und ließ die Mädchen auf- und abspringen, während Troll über die Bahn trabte. Die Mädchen lernten auch einfachere Kunststücke auf dem Pferderücken. Mit ihrem gut ausgeprägten Gleichgewichtssinn kam Lena besser zurecht als die meisten anderen.
Am folgenden Morgen hielt Petra eine Privatstunde für die beiden Schwestern ab. Astrid ritt Svala mit glücklichem Lächeln, und Lena kämpfte tapfer mit Cherokee. Sie war ja daran gewöhnt, sogar auf größeren Pferden zu sitzen. Auch Rex und Troll waren nicht immer einfach.
Petra stellte ein paar niedrige Hindernisse auf, und sowohl Lena als auch Astrid schafften die Sprünge leidlich. Manchmal verloren sie die Steigbügel oder gingen zu spät im Sprung mit, so daß sie beim Landen unsanft in den Sattel zurückplumpsten. Sie stürzten jedoch nicht vom Pferd, und einige Sprünge gelangen recht gut. Petra mußte ganz einfach feststellen, daß Astrid viel besser auf Svala ritt als auf Cherokee. Kein Wunder, daß ihr Vater Svala gern für sie gekauft hätte.
Nein, dachte Petra heftig. Ohne Svala, nein! Ich kann sie nicht hergeben!
„Jetzt fangen die anderen schon an, die Pferde für die erste Reitstunde zu satteln“, sagte sie nach einer Weile. „Wir müssen die Bahn bald freimachen.“
„Wie schade! Ich wäre gern noch viel länger geritten“, erwiderte Astrid.
„Wir könnten ja einen Ausritt machen“, schlug Petra vor.
„Das traue ich mich nicht!“
„Aber außer mir ist doch niemand dabei. Keine nervösen Pferde reiten mit, und wir brauchen auch nicht zu galoppieren.“