Petra und der Reiterhof. Torbjörg Hagström
wenn du so rasen mußt. Ich mag das nicht.“
„Ich hätte wirklich nicht gedacht, daß du so ein Angsthase bist. Das ist doch völlig ungefährlich!“
„Natürlich ist’s gefährlich! Bitte, fahr langsamer!“
Klaus preßte die Lippen aufeinander und antwortete nicht. Petra glaubte offenbar, er wäre kein sicherer Fahrer, und das reizte ihn. Sie wollte ihm Vorschriften machen, wie er zu fahren hatte. Als wüßte sie es besser. Klaus wurde richtig wütend.
„Nennst du das langsamer?“ rief Petra erschrocken, als sie merkte, daß er das Tempo sogar noch erhöhte. „Bist du denn verrückt geworden?“
Petra hatte sich so auf diesen Abend gefreut, doch nun schien er sich plötzlich in einen Alptraum zu verwandeln. Der Asphalt floß zu einer furchterregenden grauen Masse zusammen, die leuchtend weißen Markierungen schienen immer schneller auf sie zugerast zu kommen. Sie merkte, wie ihr Herz hämmerte.
„Halt an, Klaus! Ich will aussteigen!“
„Sei nicht albern. Ich habe den Wagen doch unter Kontrolle.“
„Ich meine es ernst. Fahr vernünftig, oder laß mich aussteigen.“
In einer Kurve neigte sich der Wagen bedenklich zur Seite und wurde halbwegs auf die linke Fahrspur geschleudert, doch Klaus bekam ihn wieder unter Kontrolle und fuhr im gleichen Tempo weiter.
„Bitte, Klaus, hör auf!“ rief Petra verzweifelt.
„Mach doch nicht so ein Theater!“
Petra schlug plötzlich einen anderen Ton an.
„Wenn du willst, daß ich je wieder mit dir ausgehe, solltest du augenblicklich anhalten“, sagte sie eiskalt und beherrscht.
„Pah, du machst Witze! Wieso sollen wir hier stehenbleiben, wenn wir doch ins Kino wollen?“
„Wenn du nicht sofort langsamer fährst, gehe ich nicht mit ins Kino – weder jetzt noch sonst irgendwann! Falls du noch eine Minute länger so rast, ist es aus zwischen uns.“
Doch Klaus kümmerte sich nicht um ihre Drohung. Petra begriff nicht, was in ihn gefahren war. Was sollte sie nur tun? Das war schlimmer, als auf einem durchgehenden Wildpferd zu sitzen. Die Reifen quietschten, der Wagen schleuderte, und Petra erwartete, daß sie jeden Augenblick im Straßengraben landeten – doch das wäre immer noch besser gewesen als ein Zusammenstoß.
„Das ist das erste und letzte Mal, daß wir beide zusammen in einem Auto sitzen“, sagte sie verbissen.
„Was würdest du eigentlich tun, wenn ich dich wirklich hier aussteigen ließe?“ Klaus lehnte den Kopf lässig gegen die Nackenstütze.
„Zu Fuß nach Hause gehen. Du denkst wohl, ich meine es nicht ernst, aber ich werde es dir beweisen. – Das heißt, wenn wir so lange leben“, fügte sie trocken hinzu.
Es wurde unangenehm still im Wagen; man hörte nur das Heulen des Motors und das Quietschen der Reifen. Ein anderes Auto tauchte auf, und Petra wurde unwillkürlich starr vor Schreck, bis es vorbeigefahren war. Nie hatte sie geglaubt, daß Klaus sich so verrückt benehmen könnte. Sie war schrecklich wütend und gleichzeitig schrecklich ängstlich. Doch da Klaus sich sowieso nicht um ihre Bitten und Drohungen kümmerte, schwieg sie.
Wieder raste der Wagen in eine Kurve. In der Dunkelheit sah Klaus zu spät, wie scharf sie wirklich war. Das Auto kam ins Schleudern und schlitterte auf die linke Straßenseite. Klaus umklammerte das Steuerrad und trat auf die Bremse, so fest er konnte, doch es nützte nichts.
Der Wagen schoß einen grasbewachsenen Abhang hinunter, holperte über einen Graben und stieß schließlich krachend gegen einen gefällten Baumstamm.
Um Petra herrschte tiefe Finsternis. Das Geräusch von splitterndem Glas drang an ihre Ohren. Es gab einen Krach, der ihren ganzen Körper erschütterte.
Sekundenlang rang sie nach Luft. Der Ruck im Sicherheitsgurt hatte ihr den Atem genommen. Es dauerte einige Zeit, bis sie merkte, wie still es plötzlich war.
„Klaus?“
Keine Antwort.
Alles blieb still und dunkel. Petra wurde von Panik erfaßt. Rasch öffnete sie ihren Gurt. Im gleichen Augenblick durchzuckte ein messerscharfer Schmerz ihren linken Arm. Sie stöhnte und blieb einen Moment bewegungslos sitzen. Es war wohl am besten, wenn sie den Arm möglichst ruhig hielt.
Langsam streckte sie die rechte Hand zur Tür aus, griff jedoch in die Luft. Die Wagentür war beim Aufprall offenbar aufgerissen worden. Vorsichtig hob sie beide Beine und schob sich zur Seite, so daß sie den Boden mit den Füßen erreichte und aus dem Wagen steigen konnte. Zu ihrer Verwunderung merkte sie, daß sie tatsächlich noch stehen konnte. Und Klaus bewegte sich nicht. Was war ihm passiert?
Die Sterne leuchteten wie kleine weiße Punkte am Himmel. Die Straßenkante zeichnete sich als dunkler Strich gegen den Horizont ab. Dorthin mußte sie, und zwar sofort. Entschlossen begann Petra in Richtung zur Straße zu gehen, um ein Auto anzuhalten und Hilfe zu holen.
Den Graben am Fuß des Abhangs sah sie nicht. Plötzlich trat sie ins Leere, stolperte und fiel. Im Fallen hielt sie den linken Arm hoch, doch der Stoß schmerzte trotzdem.
Petra biß die Zähne zusammen und kletterte wieder aus dem Graben. Eigensinnig stapfte sie weiter. Den Abhang hinauf ging es sehr langsam, denn ihre dünnen, glatten Sandalen glitten immer wieder auf dem taunassen Gras aus.
Endlich war sie oben. Die Straße lag leer und dunkel vor ihr, soweit sie sehen konnte. Abends war diese Strecke kaum befahren. Petra begriff, daß es vielleicht mehrere Stunden dauern konnte, bis man sie oder Klaus zu Hause vermißte. Man erwartete sie ja nicht vor Ende des Films zurück.
Plötzlich tauchten in der Ferne die Lichter eines Wagens auf. Petra überlegte blitzschnell. Wie konnte sie das Fahrzeug anhalten? Sollte sie es wagen, sich mitten auf die Fahrbahn zu stellen?
Wie dumm von ihr, daß sie nicht nachgesehen hatte, ob in Klaus’ Auto ein Warndreieck lag!
Der Fahrer des herankommenden Wagens sah plötzlich, wie sich jemand am Rand des Scheinwerferkegels bewegte. Dann merkte er, daß ein Mädchen auf dem Mittelstreifen der Straße stand und winkte. Eine Anhalterin, dachte er, und trat auf die Bremse.
Er hielt an und öffnete die Tür. Doch das Mädchen stieg nicht ein, und als er sie genau betrachtete, wurde ihm klar, daß er es hier durchaus nicht mit einer gewöhnlichen Anhalterin zu tun hatte.
„Hallo!“ schrie Petra. „Wir sind in den Graben gefahren, und mein Freund liegt bewußtlos im Auto. Sie müssen uns helfen!“
Der Autofahrer sah sie entsetzt an. Petra fing seinen Blick auf und schaute an sich herunter. Erst sah sie nur ihr beschmutztes Kleid, doch dann bemerkte sie, daß ihre linke Hand seltsam schlaff herabhing, als sei sie am Handgelenk abgeknickt. Der Arm mußte gebrochen sein. Doch was war Klaus zugestoßen?
„Bitte, kommen Sie“, drängte sie. „Vielleicht bleibt uns nicht viel Zeit.“
„D-der Wagen kann nicht hier in der Kurve stehenbleiben. Ich m-muß ihn zuerst an einer sicheren Stelle parken“, sagte der Mann ängstlich.
„Ja, aber bitte beeilen Sie sich.“ Petra schlug die Tür wieder zu und trat zurück.
Während das Auto vorwärtsrollte, überlegte der Fahrer, was er tun sollte. Schon der Anblick des gebrochenen Armes verursachte ihm Übelkeit. Und was ihn im Unglücksfahrzeug erwarten mochte, daran wollte er lieber gar nicht denken. Dabei schien das Mädchen zu glauben, daß er ihr helfen könnte. Er fühlte sich vor Schreck wie gelähmt. Daß so etwas ausgerechnet ihm passieren mußte.
Petra war stehengeblieben und sah dem Wagen nach. Nach der Kurve leuchteten die Bremslichter auf. Doch im nächsten Augenblick verlöschten sie wieder, das Auto schoß vorwärts und verschwand in rascher Fahrt zwischen den Bäumen.
Petra