Seewölfe Paket 15. Roy Palmer
aufeinander ein und lösten sich dann voneinander. Hasard nutzte die Chance und sprang auf, aber auch seine Gegner waren jetzt flink wieder auf den Beinen.
Carberry taumelte zur Tür heraus, fluchte und fuhr zu Burt herum, der ihm in den Allerwertesten getreten hatte. Burt folgte ihm. Ferris Tucker erschien ebenfalls auf der Bildfläche, und immer mehr Männer verließen jetzt die Kneipe, um den Kampf draußen fortzusetzen.
Plymson, der einen Blick über die Theke riskierte, atmete auf und murmelte: „Weiter so, nur weiter so, ihr Hundesöhne. Tobt euch an der frischen Luft aus und ersauft von mir aus im Hafenwasser. Ihr habt’s verdient, alle Mann!“
4.
Hasard und der Profos waren plötzlich von einer Übermacht von Gegnern umringt, neue Gesichter waren überraschend aus der Dunkelheit und dem Nebel aufgetaucht. Fast erschien es dem Seewolf so, als sähe er Reeves und Hoback, die beiden Kerle von dem Kampf in der Gasse, wieder vor sich, doch zu genaueren Beobachtungen war keine Zeit, denn das jetzt einsetzende Geschehen verlangte ihm seinen vollen Einsatz ab.
Carberry und er schlugen sich jetzt mit einemmal auf verlorenem Posten. Alles ging sehr schnell. Ben und Dan bahnten sich zwar noch einen Weg durch die Hasard und den Profos umlagernde Menge, aber ihr Handeln erfolgte bereits zu spät.
Carberry sank unter einem Feuer von Hieben als erster zu Boden. Burt, der Blonde, brüllte etwas Triumphierendes, dann wollte er sich auf den fallenden Narbenmann stürzen, wurde aber zur Seite weggedrückt. Vorerst registrierte er noch nicht, daß es außer seinen Leuten auch noch andere Männer waren, die in das Handgemenge eingegriffen hatten, und als er es bemerkte, war der Spuk bereits im Dunkeln verschwunden.
Hasard sah einen großen, breitschultrigen Mann vor sich auftauchen, wollte sich gegen ihn zur Wehr setzen, wurde aber von zwei anderen an den Armen festgehalten. Ihm fiel noch das zynische Lächeln des Kerls auf, der ziemlich lange blonde Haare und ein kantiges Gesicht mit ausdrucksstarken Zügen hatte, dann traf ihn dessen Faust mit größter Wucht unter dem Kinn.
Es dröhnte in Hasards Kopf, jede weitere Wahrnehmung ging jedoch in erlösender Finsternis unter. Er konnte nicht mehr verfolgen, wie auch Ben und Dan unter dem Andrang der Übermacht von Gegnern zusammenbrachen, hörte nicht mehr das Johlen, Grölen und Pfeifen der Kerle, fühlte nicht, wie er hochgehoben und fortgetragen wurde.
Der Kampf vor der „Bloody Mary“ ging weiter, doch die Kerle, die den Männern des Küstenseglers so unverhofft geholfen hatten, waren mit Hasard, Ben, Carberry und Dan O’Flynn verschwunden.
Burt, der Blonde, stolperte zwar noch eine ganze Zeitlang vor der Kneipe herum und suchte nach Carberry, um richtig mit diesem abzurechnen, doch der Profos schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
Burt stieß die übelsten Verwünschungen aus. Bald aber schwieg auch er, denn Big Old Shane rammte ihm mit einem zornigen Laut die Faust unters Kinn.
Weitere Männer sanken bewußtlos zusammen, und jetzt zeichnete sich eine Wende in der Keilerei ab, die bislang mehr oder weniger unentschieden verlaufen war. Die Seewölfe siegten. Als aber schließlich wieder Ruhe eintrat und sie sich keuchend umsahen, mußten sie feststellen, daß der Seewolf und drei der wichtigsten Männer von der Crew fehlten.
„Zur Hölle“, sagte Smoky betroffen. „Was jetzt? Was, zum Henker, hat das zu bedeuten?“
Keiner wußte darauf eine Antwort.
Mit der Rückkehr ins Bewußtsein war das so eine Sache. Hasard wollte schleunigst die Augen öffnen, sich umsehen und feststellen, was aus seinen Männern geworden war. Er war voll bei Sinnen, aber irgendwie kriegte er die Lider nicht auf, sie schienen verklebt zu sein. Außerdem tobten höllische Schmerzen durch seinen ramponierten Kopf. Jeder Atemzug war eine Qual. Unter diesem Aspekt schien es doch besser zu sein, gleich wieder in die befreiende Ohnmacht zu sinken, die ihn erneut zu übermannen drohte.
Aber er zwang sich dazu, den Kopf zu heben, kämpfte gegen die Schmerzen und die aufsteigende Übelkeit an und griff mit der Hand nach den Augen. Er stellte fest, daß sie blutverkrustet waren. Unter Zuhilfenahme der Finger konnte er sie öffnen.
Vorsichtig schaute er sich um.
Er lag in einem dunklen Raum, der schätzungsweise fünf mal fünf Yards groß war. Er war ein Gefangener, aber gefesselt hatte man ihn nicht. Er wandte den Kopf und sah Ben, Ed und Dan neben sich liegen. Sie waren noch ohnmächtig.
Draußen hatte sich der Nebel offenbar etwas verflüchtigt, ein wenig Mondlicht drang durch das einzige, vergitterte Fenster des Raums. Es erlaubte dem Seewolf, sich ein Urteil über den Zustand seiner drei Männer zu bilden.
Schön sahen sie nicht aus. Ihre Gesichter waren zerkratzt, blutig und hier und da geschwollen. Ihre Kleidung war zerrissen. Besser ist es um dich sicher auch nicht bestellt, dachte Hasard. Er versuchte zu grinsen, aber auch das tat weh.
Auch Ben, der Profos und Dan waren die Hände und Füße nicht gebunden. Er brauchte sie jetzt nur zu wecken, dann konnten sie gemeinsam versuchen, aus diesem merkwürdigen Verlies zu entwischen.
Gerade wollte er aufstehen, da regte sich etwas unterhalb des Fensters. Funken sprühten, jemand schlug offensichtlich Feuerstein und Feuerstahl gegeneinander. Eine Flamme züngelte auf, der Unbekannte hatte ein Talglicht entfacht.
Hasard hatte sich in Hockstellung gebracht und bereitete sich darauf vor, den Fremden, der ihn schon die ganze Zeit über beobachtet haben mußte, anzuspringen. Er konnte sein Gesicht jetzt im Schein der Flamme erkennen. Es war schmal und ernst und gehörte einem über fünfzig Jahre alten Mann. Der schwarze Filzhut, den dieser Mann trug, verlieh seiner ganzen Erscheinung etwas Würdevolles, aber auch etwas Rätselhaftes.
„Greifen Sie mich bitte nicht an, Mister Killigrew“, sagte er mit halblauter, wohlklingender Stimme. „Ich bin nicht hier, um Ihnen irgendwelchen Schaden zuzufügen. Ich darf Sie doch Mister Killigrew nennen? Oder soll ich Sir Hasard zu Ihnen sagen?“
Der Seewolf richtete sich langsam auf und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Den Sir können Sie sich ruhig schenken.“
„Aber die Königin von England hat Sie zum Ritter geschlagen.“
„Sicher, aber mir ist der Kaperbrief wichtiger als jeder Titel.“ Wieder peinigten ihn die Schmerzen. Er verzog das Gesicht.
„Es tut mir leid, daß so etwas vorfallen mußte“, sagte der fremde Mann. „Es lag nicht in meiner Absicht, verstehen Sie?“
„Ja. Sie sind Lord Gerald Cliveden, nicht wahr?“
„Woher wissen Sie das?“ fragte der andere überrascht.
„Ich kann eins und eins zusammenzählen“, erwiderte Hasard. „Mir geht allmählich so einiges auf.“
Das Talglicht, so stellte er jetzt fest, stand auf einem kleinen Pult, und dahinter, unter dem Fenster, befand sich ein Stuhl, auf dem Seine Lordschaft sich niedergelassen hatte. In diesem Augenblick aber stand nun auch Cliveden auf, und Hasard konnte sehen, daß er hochgewachsen und hager war. Er trug ein kurzes Cape, enge schwarze Hosen und dazu Schnallenschuhe. Hasards Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, er konnte immer mehr Details erkennen.
„Ach so“, sagte Cliveden. „Nun, ich dachte schon, es hätte sich herumgesprochen, daß ich in Plymouth bin. Meine Mission, die mich hierhergeführt hat, ist nämlich geheim, müssen Sie wissen.“
„Wo sind wir hier?“ fragte der Seewolf.
„In einem alten Haus des Hafenviertels, das nicht mehr bewohnt ist. Wir befinden uns höchstens fünfhundert Yards von der ‚Bloody Mary‘ entfernt.“
„Sehr beruhigend, das zu wissen“, sagte Hasard nicht ohne Ironie. „Würden Eure Lordschaft jetzt so freundlich sein, mir zu verraten, was meine Männer und ich mit dieser geheimen Mission zu tun haben?“
„Selbstverständlich.“ Cliveden lächelte. „Eigentlich müßten Sie sich aber auch in dieser Hinsicht einiges zusammenreimen können, Mister Killigrew.“