Geisterkind. Christine Millman

Geisterkind - Christine Millman


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Gesicht. Die klauenartigen Hände hielt sie im Schoß gefaltet. Zwei Frauen flankierten sie.

      Griselle verneigte sich. »Seid gegrüßt Erhabene. Ich bringe Euch die neuen Konventen. Mögen sie sich würdig erweisen unter Eurer göttlichen Führung.«

      Die Erhabene nickte ihr zu, ließ Inja dabei aber nicht aus den Augen. Sie blinzelte kein einziges Mal. Die Frau war unheimlich.

      »Wer ist dieses Mädchen?« Ihre Stimme klang scharf und kalt.

      »Ihr Name ist Inja. Sie stammt aus einem Dorf bei Murg«, erklärte Griselle.

      Die Erhabene erhob sich und musterte Inja prüfend. Missbilligung stand in ihrem Gesicht. Inja wurde flau im Magen. Griselle hatte sie ohne zu zögern mitgenommen, doch was würde passieren, wenn die Erhabene sich nun dagegen entschied? Andererseits hatten sie für Inja bezahlt und würden sich ihre Arbeitskraft oder was auch immer sie von ihr haben wollten, sicher nicht entgehen lassen.

      »Niemand sagte uns, dass sie uns ein Winterkind schicken«, stellte die Erhabene fest. »Trägt sie böse Geister in sich?«

      »Bisher konnte ich nichts Böses in ihr entdecken«, antwortete Griselle. »Aber man weiß ja nie«, fügte sie kleinlaut hinzu.

      Die Erhabene führte die gefalteten Hände zum Mund und rieb sich nachdenklich mit dem Zeigefinger über die Lippen. »Eine Konventin, die böse Geister in sich trägt, können wir hier nicht gebrauchen. Wer weiß, zu was sie fähig ist. Du hättest diesen Bauern das Geld nicht übergeben dürfen, als du sie gesehen hast. Sie wollten sie loswerden und wir haben sie jetzt am Hals.«

      Inja schluckte nervös. Anders als Griselle zuvor schien die Erhabene an die bösen Geister in ihr zu glauben.

      »Verzeiht mir Erhabene. Die Männer beschworen ihre Reinheit. Soll ich sie zurückschicken?«, fragte Griselle zerknirscht.

      Zurückschicken? Injas Herz begann zu pochen. Hatte sie ausnahmsweise Mal Glück? Sie hielt den Atem an.

      »Nein«, beschied die Erhabene und machte Injas Hoffnung mit einem Schlag zunichte. »Das wäre Verschwendung. Freiwillig rücken die Dörfler keinen Kreuzer mehr raus. Wir werden ihren Leib von Unrat und Sünde befreien und die bösen Geister austreiben, bevor sie in den Dienst der Götter tritt.«

      Griselle neigte den Kopf. »Das klingt vernünftig.«

      »Ich übertrage dir die Unterweisung der Konventinnen und die Durchführung der Reinigungszeremonie. Der Junge bleibt hier, ein Eunuch wird ihn in das Jungenhaus bringen.«

      Bei dem Wort Eunuch stieß Hadwin einen erschrockenen Laut aus, was ein höhnisches Lächeln auf die Lippen der Erhabenen zauberte. Sie genoss Hadwins Entsetzen, stellte Inja angewidert fest. Aus dem Schatten hinter Eltrud trat eine junge Frau, deren üppige Oberweite fast das hochgeschlossene Gewand sprengte. Hadwin starrte sie ängstlich an.

      Sie legte eine Hand auf Hadwins Rücken. »Hab keine Angst. Die Götter sorgen für uns. Folge mir. Ich bringe dich zu Dolf.«

      Griselle verneigte sich und führte Inja und Lykke hinaus.

      »Was geschieht während der Reinigungszeremonie?«, platzte Inja heraus, sobald sie die Kammer verlassen hatten.

      Griselle verdrehte die Augen, sie wirkte gereizt. »Du musst lernen, deine Neugier und Ungeduld zu zügeln, sonst wirst du nicht lange durchhalten.« Sie zog an Injas Haar, fester als es nötig gewesen wäre. »Hättest du das nicht bedecken können? Dann wäre der Erhabenen der Anblick erspart geblieben.«

      Und dir die Zurechtweisung dachte Inja trotzig. Sie warf Lykke einen vielsagenden Blick zu. Lykke versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, was ihr jedoch kläglich misslang. Sie hatte Angst vor dieser ominösen Reinigungszeremonie, das war deutlich zu sehen. Griselle führte sie zu einem Gebäude am nördlichen Rand, dessen einziger Schutz vor dem grimmigen Nordwind die Mauer bot. Wieder musste Inja die Schuhe ausziehen. Mittlerweile schmerzten ihre Zehen vor Kälte. Das Haus bestand aus einem riesigen Schlafsaal.

      Griselle deutete auf die Strohsäcke am Boden. »Hier schlafen die Konventinnen.«

      Auf jedem Strohsack lagen zwei ordentlich gefaltete Decken, dahinter befand sich eine schlichte Truhe, in der die Konventinnen ihre Kleidung aufbewahrten. »Eure Plätze findet ihr gleich neben der Tür.«

      Auf ihrem Schlafplatz fand Inja jeweils zwei Kleider aus grober Wolle, passende Untergewänder, Hauben und knöchelhohe Lederschuhe mit hölzernen Unterschuhen für den Winter sowie ein Umhang, ein Stück Seife und zwei Leintücher.

      »Wie ihr bereits wisst, legen wir großen Wert auf Reinlichkeit«, betonte Griselle. »Ihr müsst euch täglich am Brunnen hinter dem Haus waschen. Nur im Winter ist es euch gestattet, das Wasser mit in den Schlafsaal zu nehmen und euch dort zu reinigen.«

      Da Lykke bereits die Konvententracht trug, musste sie sich nicht umkleiden und so half sie Inja beim Verschnüren des Kleides, flocht ihre Haare und stülpte ihr die Haube über. Anschließend zeigte Griselle ihnen die Arbeitsbereiche. In einem Haus wurde Schmuck hergestellt, der aus verschiedenen Muscheln und bunt leuchtenden Steinen gefertigt wurde. Sobald Griselle den Raum betrat, erhoben sich die Konventen von ihren Hockern und verneigten sich. Inja spürte die Blicke der Jungen und Mädchen, die sie unter gesenkten Augenlidern neugierig betrachteten.

      »Den Schmuck verwenden wir als Handelsgut«, erklärte Griselle.

      Im nächsten Haus wurde Käse aus Geißenmilch hergestellt und mit getrockneten Kräutern vermengt. Hinter der Küche befand sich eine Kammer, in der Fisch und Fleisch geräuchert wurden.

      Der Garten lag außerhalb der Mauern auf der Südseite des Konvents. Drei Konventinnen befreiten den Boden von Steinen und Unkraut. Ihre Gesichter waren vor Anstrengung gerötet, die Hände mit brauner Erde bedeckt. Auch sie erhoben und verneigten sich, als sie Griselle erblickten.

      »Auf dem steinigen Boden wächst nicht viel, doch es reicht, um uns zu nähren«, erklärte Griselle beim Gehen.

      Nach dem Feld führte die Gesegnete sie eine Treppe hinab zu einem schmalen Strand, der nur über die ausgetretenen Stufen erreicht werden konnte. An mehreren Stellen ragten Pfosten aus dem Wasser, zwischen denen Netze gespannt waren.

      »Das sind unsere Fischnetze. Einmal täglich holen wir den Fang ein«, erklärte Griselle. »Diese Aufgabe ist bei den Konventen nicht besonders beliebt. Die Strömung ist unberechenbar und der Strand wird hin und wieder von großen Wellen überspült, die jeden mit sich reißen und auf das offene Meer hinaustragen. Kraft und die Fähigkeit, lange unter Wasser zu bleiben ist von Vorteil.«

      Obwohl Griselle vor den Gefahren gewarnt hatte, wusste Inja sofort, dass sie diese Aufgabe gerne übernehmen würde, ganz im Gegensatz zu Lykke, die die Netze beäugte wie eine Giftschlange. Inja liebte das Wasser und konnte länger die Luft anhalten als jeder andere. Zudem erschien ihr der einsame Strand wie ein Stückchen Freiheit, ein Ort, an dem sie unbehelligt von den Blicken der anderen ihre Arbeit verrichten könnte.

      »Da oben liegen die Höhlen.« Griselle deutete auf die Klippen über ihnen. »Täglich klettern fünf Konventen hinein, um nach Steinen zu graben, die wir dann zu Schmuck verarbeiten.«

      Vom Strand aus sah es hoch und gefährlich aus und Inja hoffte, dass sie nicht gerade zum Edelsteinschürfen eingeteilt werden würde. Weder wollte sie in dunklen Höhlen herumkriechen, noch an Steilhängen entlang klettern. Bestimmt stürzten immer wieder Konventen in die Tiefe.

      Als Griselle sie die Stufen wieder hinaufführte, knurrte Injas Magen vernehmlich. Seit dem Buchweizenbrei am Morgen hatte sie nichts mehr gegessen. »Wann speisen die Konventen, Gesegnete?«, wagte sie zu fragen.

      »Ihr bekommt am Morgen und am Abend eine Mahlzeit. Die Konventinnen, die im Garten, im Stall und in den Höhlen arbeiten bekommen zusätzlich eine Scheibe Graubrot für zwischendurch. Wir essen, um zu überleben und meiden Völlerei«, erwiderte Griselle. »Ihr beiden bekommt jetzt allerdings nichts mehr, da ihr heute gereinigt werdet.«

      Inja


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